Fremdeln zwischen Athen und Jerusalem

Feine Gewebe aus Erzählungen: Malin Schwerdtfeger liest im Literaturzentrum aus ihrem Roman „Delphi“

Es sind nicht allzu viele Namen, die die Debatte um die literarischen „Fräuleinwunder“ überdauert haben. Zu ihnen gehört Malin Schwerdtfeger. Nach ihren ersten Erzählungen erschien 2001 der Roman Café Saratoga. In dieser Geschichte über ein polnisches Schwesternpaar erzählte die Autorin vom Scheitern in der Fremde. Schon hier überzeugte ihre Erfindungsgabe. Und schon hier offenbarte sie einen Blick für magische Momente.

Derer gibt es in ihrem neuen Roman Delphi, den sie jetzt im Literaturzentrum vorstellen wird, noch mehr. Es ist eine seltsame Familiengeschichte, die Schwerdtfeger erzählt – in einer Einstiegsszene, die unwahrscheinlich und doch wie selbstverständlich erzählt ist und so gleich den Ton anschlägt, der das ganze Buch durchzieht: Seit zwölf Stunden müht sich Mutter Susanna mit Pepitas Geburt; die guckt schon in die Welt, hat aber den Kopf in falscher Stellung und ist schon lila angelaufen, als ihre zehnjährige Schwester Linda ihr in die Augen schaut. Für sie, so heißt es, senkt Pepita ihr Köpfchen auf die Brust, gelangt hinaus und wird Linda von nun an magisch verbunden bleiben.

Komplettiert wird die Familie durch Robbie, den Vater und eine weitere jüngere Schwester, die als Ich-Erzählerin fungiert. Der Beruf des Vaters, ein Archäologe, bringt Ruhelosigkeit in die Familie. Irgendwo zwischen Jerusalem und Athen wird die Fremdheit zwischen den Eltern unüberwindbar und die Verlorenheit Susannas übermächtig. Sie schließt sich einer Sekte an, weil der Gehorsam sie von eigenen Entscheidungen befreit. Schließlich landet sie in der Psychiatrie.

Das ist eine Geschichte, die die Autorin erzählt. Eine andere ist die Lindas: eine Hochbegabte, die mit zehn Jahren Kurse an der Uni belegt und die ihrem Bruder Robbie in einer unauflöslichen Weise verbunden ist; die sich unangreifbar wähnt und diese „Keime der Freiheit und des Wissens und der Unverwundbarkeit“ ihrer Schwester Pepita mitgibt. Und genau darum Jahre später (mit)schuldig wird am Tod der zweitjüngsten Schwester.

Es sind viele Fäden, die Schwerdtfeger auslegt, sie funktionieren fast wie eigene Erzählungen, die sich aber immer wieder zur großen Familiengeschichte verbinden. Und man folgt diesen Strängen so gerne, weil die Autorin ihre Figuren so gekonnt führt. Aber weil hier alles mit Bedeutung aufgeladen wird, bleibt am Ende doch das Gefühl von Flüchtigkeit. Der Kniff, eine Tote – die verstorbene Schwester – aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen, befördert diesen Eindruck noch. Weil „Erinnerungen unzuverlässig (sind), weil die Menschen unzuverlässig sind“ erzählt nun eine, die über eine Art allumfassendes Wissen verfügt, aber keinen eigenen Schwerpunkt legt.

Dennoch gibt es berührende Stellen, die sich aber leicht im Gewebe des Ganzen verflüchtigen: Wo alles magisch aufgeladen werden kann, hat der einzelne Moment wenig Chancen. So bleibt das Eindringliche einer Figur, einer Szene, eines Satzes schwerlich in Erinnerung – und das liegt nicht an deren Unzuverlässigkeit. Carola Ebeling

Malin Schwerdtfeger: „Delphi“, Köln 2004, 296 S., 18,90 EuroLesung: Mi, 19.1., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38