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Archiv-Artikel

Schöne Zeit in der Loipe

Sven Fischer hat gelernt, dass auch beim Biathlon die Kraft in der Ruhe liegt. Gut möglich, dass ihm das den dritten Weltcup-Gesamtsieg einbringt. Derzeit liegt er mit vier Saisonerfolgen auf Rang zwei

AUS RUHPOLDINGJOACHIM MÖLTER

Auch Sven Fischer, 33, war mal jung, ungestüm und unbedacht. „Als ganz junger Athlet wollte ich unbedingt den Gesamt-Weltcup gewinnen“, erinnert sich der Biathlet. Diesem Ziel rannte er vergeblich hinterher, heute weiß er: „Wenn man so denkt, verkrampft man. Ich habe immer nur auf meinen direkten Gegner geschaut, der eigentliche Wettkampf ging an mir vorbei.“ So wie seinerzeit auch die Trophäe des Gesamtsiegers, die er später zweimal bekam, 1997 und 1999.

In dieser Saison ist der Mann aus Oberhof wieder ein Kandidat für die Auszeichnung des beständigsten Biathleten des Winters, vor den Weltcup-Rennen in Ruhpolding in dieser Woche liegt er auf Platz zwei hinter dem Franzosen Raphael Poirée, aber Sven Fischer behauptet: „Ich weiß gar nicht, wie der aktuelle Punktestand ist.“ Nun, Poirée hat 426, Fischer 380 Zähler, obwohl er schon vier der bisher zehn Wettbewerbe gewonnen hat und damit so gut in die Saison gestartet ist wie lange nicht mehr. „Ich mache mir keine großen Gedanken, dass es so super läuft“, sagt er, „ich mache einfach so weiter.“ Und wenn er am Ende des Winters die Trophäe bekäme, würde er sich natürlich freuen: „Aber das ist eine Sache, die entweder kommt oder sie kommt nicht.“

Sven Fischer hat gelernt, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. „Ich geiere nicht auf einen bestimmten Platz“, versichert er, „manchmal ist der 15. das Maximum, was der Körper an einem bestimmten Tag hergibt, und dann ist’s auch okay. Man muss den Körper einfach arbeiten lassen.“ Wenn er sich Ziele setzt, dann im Training, dort will er ein Niveau erreichen, das es ihm ermöglicht, im Wettkampf sein Bestes zu geben. Nach Olympia 2002 hatte er ein neues Übungsprogramm versucht, aber schnell gemerkt, dass das nicht so funktioniert, „also bin ich wieder auf mein altes System umgestiegen“, erzählt er. Was genau er vor diesem Winter anders gemacht hat in der Vorbereitung, mag er nicht verraten: „Das sind Trainingsgeheimnisse“, wiegelt er ab und versichert: „Es sind legale Sachen.“

Sven Fischer hat ja mal mit dem öffentlich gemachten Verdacht eines Teamkollegen leben müssen, er dope; die folgende Zivilklage gewann Fischer freilich. Aber weil er auch als Stasi-Mitarbeiter mehrmals in die Schlagzeilen geriet (als 18-Jähriger hatte er sich kurz vor der Wende und reichlich unbedacht noch anwerben lassen, war aber bald wegen „mangelnder Motivation“ wieder abgeschrieben worden), scheut er den großen Rummel, der zunehmend um die Biathleten gemacht wird. Ruhe ist jedenfalls ein Wort, das er gern benutzt, wenn er über seinen Sport philosophiert. Diese Ruhe sucht er am liebsten in der Loipe. „Der Wettkampf ist die schönste Zeit für einen Athleten“, sagt Fischer, „da hat man Ruhe, man hat Zeit.“ Stress spürt er nur vorher, wenn er sich vorbereiten muss und die Spannung zunimmt: „Am Start ist sie schlagartig weg. Da weiß ich, dass ich alles getan habe, was logistisch nötig war, da kann ich frei laufen.“

Sven Fischer hat sich frei gelaufen von allen Problemen und Sorgen, seit seiner Entlassung aus der Sportfördergruppe der Bundeswehr im Jahr 1998 we- gen der verschwiegenen Stasi-Unterschrift ist er quasi Profi, und über seine weitere berufliche Laufbahn nach dem sportlichen Karriere-Ende macht er sich so wenig Gedanken wie über den aktuellen Punktestand im Weltcup: „Dann gehe ich voller Tatendrang in eine neue Sache“, sagt Fischer, „aber jetzt kümmere ich mich um den Sport. Alles andere wäre kontraproduktiv.“

Als sehr produktiv empfindet Fischer die nachrückenden Jungen im deutschen Team. „Man kommt an Punkte im Training, wo man einfach keine Lust mehr hat. Da braucht man einen Motivationsschub.“ Zudem gehören zu einer ausgeglichenen Biathlon-Leistung ja viele Teilkomponenten, in manchen seien die Jungen einfach besser, und „ich habe mich im Training immer an den Besten orientiert“, verrät er eines seiner Erfolgsgeheimnisse. Ein Orientierungspunkt wird ihm künftig freilich fehlen, der kürzlich zurückgetretene Kollege Peter Sendel, bester Mann am Schießstand, körperlich noch fit, aber müde geworden im Kopf. „Wichtig ist, dass Körper und Kopf eine Einheit bilden“, weiß Sven Fischer heute, „und solange diese Einheit da ist, mache ich weiter.“