: Im Irak kann nicht überall gewählt werden
Regierungschef Allawi räumt ein, dass Anschläge zu Problemen bei den Wahlen am 30. Januar führen könnten. In Bagdad und Washington gibt es Überlegungen über eine Einbeziehung der Sunniten in den politischen Prozess
BERLIN taz ■ Der irakische Regierungschef Ijad Allawi hat erstmals eingeräumt, dass am 30. Januar nicht in allen Teilen des Landes gewählt werden kann. „Feindliche Kräfte versuchen, dieses Ereignis zu verhindern,“ sagte Allawi nach einem Bericht der New York Times. „Sicher wird es einige Gebiete geben, wo die Leute nicht an den Wahlen teilnehmen können, aber ich glaube nicht, dass das weit verbreitet sein wird.“ Laut dem Bericht hatte Allawi zuvor mit US-Präsident George W. Bush telefoniert. Beide Politiker wollten sicherstellen, dass „wir die bestmöglichen Wahlen mit der breitestmöglichen Beteiligung haben werden.“ Eine Verschiebung gilt in ihren Augen als ein Nachgeben gegenüber Terroristen.
Mit seiner Äußerung hat Allawi zugestanden, dass es bis Monatsende nicht möglich sein wird, die Lage in den Gebieten, in denen die Aufständischen am aktivsten sind, zu beruhigen. Der irakische Geheimdienstchef Muhammad Schahwani schätzt die Zahl der Aufständischen gegenüber dem britischen Rundfunksender BBC auf 200.000 Personen, darunter ein harter Kern von 40.000 Personen. Die irakischen Regierungstruppen umfassen derzeit 100.000 Mann; sie sollen nach Angaben Allawis auf 150.000 aufgestockt werden. Dass diese bis zum 30. Januar einsatzbereit sind, ist unwahrscheinlich. Außerdem stehen 150.000 US-Soldaten im Irak.
Die Untergrundgruppen haben die Bevölkerung aufgerufen, den Wahlurnen fernzubleiben. In den letzten Tagen kamen mindestens sieben irakische Wahlmitarbeiter ums Leben, mindestens zwei Kandidaten für die Nationalversammlung wurden ermordet. In der Provinz Anbar traten alle 13 Mitglieder der Wahlkommission zurück, weil sie, wie sie sagten, wiederholt bedroht worden seien. Am Dienstag wurden sie nach Angaben von Regierungsbeamten durch andere Personen ersetzt.
Angesichts der Sicherheitslage haben mehrere führende irakische Politiker, darunter Präsident Ghasi al-Jawar, den Wahltermin infrage gestellt. Das Ziel einer „breitestmöglichen Beteiligung“ hat sowieso schon einige Schönheitsfehler. Die größte sunnitische Partei, die Irakische Islamische Partei, hat bereits ihre Boykottabsicht erklärt. Der sunnitische Rat der muslimischen Geistlichen forderte einen Zeitplan für den Abzug der US-Truppen im Gegenzug zu einem Verzicht auf einen Boykottaufruf. Eine Forderung, die die US-Regierung ablehnte. Auch bei den Gebieten, in denen laut Allawi die Durchführung von Wahlen vermutlich nicht möglich ist, handelt es sich um vornehmlich sunnitische Gebiete.
Um die Sunniten, die rund 20 Prozent der Bevölkerung des Landes stellen, nicht völlig aus dem politischen Prozess auszuschließen, wird derzeit an verschiedenen Szenarien gefeilt. Der irakische Verteidigungsminister Hasim Schaalan sagte gegenüber der BBC, er habe Ägypten gebeten, bei den sunnitischen Führern vorstellig zu werden, damit diese sich an den Wahlen beteiligen. „Wir wollen unseren sunnitischen Brüdern noch eine Chance geben, selbst wenn das bedeutet, dass die Wahlen verschoben werden“. sagte er. Bereits zuvor hatte der irakische UN-Botschafter Samir al-Sumaidaie eine Verschiebung des Termins um zwei bis drei Wochen sowie die Reservierung von einigen Sitzen für die Sunniten vorgeschlagen, die dann später besetzt werden könnten. In Washington wird erwogen, nach den Wahlen durch eine „interne“ Übereinkunft den Sunniten Sitze in der 275-köpfigen Nationalversammlung einzuräumen.
Derlei Spitzfindigkeiten sind nicht die Sache von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: „Einfach Wahlen im Irak abzuhalten ist ein enormer Erfolg und ein Sieg“, sagte er laut New York Times. BEATE SEEL