: Erfahrung macht sich bezahlt
Die Bonner Andheri-Hilfe fördert seit ihrer Gründung 1967 Entwicklungsprojekte in Bangladesh und Indien. Treibende Kraft des Vereins, der jetzt Tsunami-Opfern hilft, ist die 77-jährige Rosi Gollmann
von Martin Ochmann
„Es ist verrückt, die ganze Andheri-Hilfe ist verrückt“, sagt Rosi Gollmann, setzt den rechten Fuß auf die Sitzfläche ihres Stuhls, legt das Kinn auf ihr Knie und schüttelt ungläubig den Kopf. Keine typische Geste für eine 77-Jährige. Es sei wohl die „Kraft des positiven Lebens und Denkens“, die sie so jung gehalten habe, vermutet sie. Bis heute spiegelt sich in den Erzählungen der Gründerin der Bonner Entwicklungshilfeorganisation ein fast kindliches Erstaunen und die Freude darüber wider, wie ihr ursprünglich kleiner Verein eine Organisation werden konnte, die mittlerweile Millionen Menschen in Indien und Bangladesh geholfen hat.
Knapp 38 Jahre nach Gründung des Vereins, nach 2.000 abgeschlossenen Projekten und nach rund 100 Millionen Euro an Spenden weiß die Pensionärin auch heute noch über jedes der Projekte Bescheid. In der Andheri-Hilfe-Zentrale im Bonner Norden erzählt sie von dem Verein, der ihr „Leben geworden ist“. In dem Haus sind nicht nur die Büroräume der Organisation untergebracht, die mittlerweile 10 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt. Hier hat Rosi Gollmann auch ein kleines Zimmer. Eine eigene Wohnung hat die pensionierte Religionslehrerin nicht. Zwischen Privatleben und Vereinsaufgaben trennt sie schon lange nicht mehr. „Alles Private muss zurück stehen, die Andheri-Hilfe ist Rosi Gollmann und umgekehrt“, sagt sie. In den Anfangstagen residierte der Verein in ihrer Wohnung in der Bonner Altstadt, „abends wischte ich die Ordner vom Bett, um mich schlafen zu legen“.
Das war Ende der 60er Jahre. 1962 besuchte Gollmann erstmals Indien. Ausschlaggebend war ein Artikel über ein Waisenhaus in Andheri, einem Vorort von Bombay. Die Not der Kinder erschütterte Gollmann, sie blieb drei Monate und kam nur zurück, weil sie wusste, dass sie von Deutschland aus besser helfen könne. 1967 gründete sie die Andheri-Hilfe-Bonn mit dem ursprünglichen Ziel, die Kinder des Heims zu unterstützen. Heute sei ihr Verein „weg von Waisenhäusern, die haben wir nie wieder unterstützt“. Denn schon sehr bald erkannte Gollmann, dass sie auf diese Weise nur Symptome lindert, aber nicht die Ursachen bekämpft. So wurde aus einer ursprünglich rein karitativen Einrichtung eine Entwicklungshilfeorganisation. Ein Wort, das sie nicht mag. „Ich spreche lieber von Entwicklungszusammenarbeit.“ Ein Hilfeempfänger werde in eine passive Rolle gedrängt, und „das entspricht nicht meinem Menschenbild, das ist würdelos“, sagt sie mit Bestimmtheit.
Einmal als Entwicklungshelferin bekannt, verselbstständigten sich für Rosi Gollmann die Dinge. Sie erhielt Bittbriefe, und in einem bat ein Heimleiter um 50.000 Mark, um sein Heim vor dem Einsturz zu bewahren. „Und ob sie es glauben oder nicht, einen Tag später erhielten wir überraschend eine Testamentszuwendung über genau diesen Betrag“, erzählt sie. Erfahrungen wie diese bewogen sie dazu, sich ganz ihrer neuen Aufgabe zu widmen. Die Vereinssatzung wurde geändert, die Hilfstätigkeit ausgebaut. Mitte der 70er Jahre kam die „Blindenheilung Bangladesh“ hinzu, die bis heute einer der Schwerpunkte des Vereins ist. Eine Million Menschen wurden mittlerweile operiert und haben ihr Augenlicht zurück erhalten. In weiteren Projekten kümmert sich die Organisation um indische Frauen, Straßenkinder und Leprakranke.
Zur Zeit fördert der Verein 400 Projekte in Indien und Bangladesh, im Jahr 2003 stand ein Budget von fast 5 Millionen Euro zur Verfügung. 20.000 private Spender unterstützen regelmäßig die Arbeit des Vereins. Das langjährige Engagement und die Erfahrung macht sich nun, nach der Flutwellenkatastrophe, besonders bezahlt. Schon vor Jahren wurde der Andheri-Trust gegründet, eine unabhängige Organisation, die selbst verantwortlich vor Ort handelt. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, in den Katastrophengebieten schnell die Hilfe zu geben, die benötigt wird. Traumata müssen behandelt werden, die Menschen brauchen außerdem Trinkwasser sowie Boote und Netze, um schnell wieder selbstständig zu werden. Dafür wurden vorgestern die ersten 100.000 Euro Spendengelder nach Indien überwiesen.
Die Menschen vor Ort sind Rosi Gollmann dankbar, in Deutschland wird sie bewundert und mit Preisen überhäuft. Eine Schule ist nach ihr benannt. Sie „mag das nicht“, sagt sie ohne Koketterie. Aber: „Wenn es der Sache hilft, schluckt man so was schon mal“, meint sie achselzuckend. „Von wegen deutsche Mutter Theresa“, murmelt sie halblaut. „Im Grunde bin ich selbst die Beschenkteste.“
Spendenkonto: Sparkasse Bonn (BLZ 380 500 00), Kto.Nr. 40006, Stichwort: Seebeben