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Archiv-Artikel

„Alle Möglichkeiten ausschöpfen“

Sozialsenatorin Knake-Werner will Kriterien erarbeiten, mit denen Hartz-IV-Empfänger ihre Wohnung behalten können – schließlich sollen sie Arbeit suchen und nicht umziehen

taz: Frau Knake-Werner, müssen Hartz-Betroffene umziehen, wenn ihre Wohnung zu groß oder zu teuer ist?

Heidi Knake-Werner: Im Prinzip wird es solche Fälle geben, aber es wird keine Massenerscheinung sein. Wir werden Kriterien erarbeiten, die Umzüge vermeiden. Es geht ja darum, dass Menschen in Arbeit gebracht werden – ihnen gleichzeitig die Wohnung zu nehmen, wäre aberwitzig. Wer umzieht, kann sich nicht gleichzeitig um Arbeit kümmern. Außerdem gehe ich davon aus, dass die meisten in angemessenem Wohnraum leben.

Kann man von einer PDS-Senatorin erwarten, dass sie diese Kriterien eher weich formuliert?

Die Kriterien werden nicht weich formuliert. Sie werden die Möglichkeiten ausschöpfen, die im Sozialhilfegesetz bisher nicht möglich waren. Zum Beispiel: Wer früher laut Gesetz in einer zu teuren Wohnung lebte, konnte nicht sagen: Die 10 Euro, die ich drüber liege, zahle ich selbst dazu. Das werden wir ändern.

Ist der Konflikt mit Finanzsenator Sarrazin da nicht programmiert?

Das sehe ich so nicht. Es ist allgemein Konsens im Senat, dass wir die Bevölkerungsstruktur in den Kiezen erhalten wollen. Wenn jetzt Menschen massenhaft umziehen müssten, würde man diese Strukturen zerstören. Das kann keiner wollen.

Es ist aber auch teurer.

Wir führen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durch. Jede Einsparung durch einen Umzug in eine günstigere Wohnung verursacht auch Kosten: Wir zahlen doch den Umzug und die Ausgaben für die Erstausstattung. Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob sich das rechnet.

Prüfen kann man nur, wenn die Anträge da sind – sind sie aber nicht, klagen viele.

Ja, diese Fälle gibt es. Manche Anträge sind vermutlich durch Umzüge in die Jobcenter noch nicht dort, wo sie gebraucht werden. Doch viele Fälle lassen sich darauf zurückführen, dass die eingereichten Anträge nicht „bearbeitungsreif“ waren, etwa weil Unterlagen fehlten. Die Leute wurden mehrfach angeschrieben, dass sie Unterlagen nachreichen müssen. Viele haben darauf nicht reagiert.

Die Betroffenen sind also selbst schuld?

Wenn ein Antrag erst am 15. Dezember eingereicht wurde, kann es passieren, dass es noch keinen Bescheid gibt. Es ärgert mich, dass alles bei den Mitarbeitern der Ämter abgeladen wird. Es braucht auch die Mithilfe der Betroffenen. Das ist keine Einbahnstraße. Jetzt haben wir das Problem, was ich befürchtet habe, dass sich unterschiedliche Umstände in dieser Anfangsphase knubbeln. Es ist doch klar, dass es Anfangsprobleme gibt, angesichts dieser gewaltigen Zahlen in Berlin: Es geht um 232.000 Fälle, das sind 400.000 Betroffene.

Laut den Ämtern ist ein Grund für den Stau, dass man überlastet sei. Da fragt sich der Normalbürger: Wieso? In Berlin sitzen 3.000 Bedienstete als Überhang im Stellenpool.

Das darf sich der normal denkende Mensch auch ruhig fragen. Einer der wenigen Punkte, den ich an der Hartz-Reform gut finde, ist der bessere Betreuungsschlüssel. So kann mit Fördern Ernst gemacht werden. Aber dazu braucht man auch das Personal. Wenn die Bundesagentur nicht einstellen kann, dann ist das ein Problem. Ja, es gab das Angebot,dass die Jobcenter wenigstens befristet ausgebildetes Personal aus unserem Stellenpool nehmen. Darüber wird verhandelt. Ich bin aber nicht bereit, mir diesen Schuh anzuziehen. Das ist die Entscheidung der Regionaldirektion der Agentur.

INTERVIEW: JAN ROSENKRANZ