: Studien des Lasterhaften
Schlendern und sich durchs Leben treiben lassen: Morgen wird im Paula Modersohn-Becker Museum die Ausstellung „Femme Flaneur – Erkundungen zwischen Boulevard und Sperrbezirk“ eröffnet
Bremen taz ■ Allein unter Menschen herumschlendern, das vorbeifließende Leben genießen – und schon hätte man ihr „Hure“ hinterher gezischelt. Sich treiben lassen durch das nächtliche Dickicht der Städte – schon wäre sie von der Sittenpolizei aufgegriffen worden. Sie, die Frau, würde heute für ihr freies Umherschweifen in der Öffentlichkeit, also dem Markt der Körper, mit Assoziation wie „Single auf Partnersuche“ bedacht. Der männlich begehrliche und weiblich neidische Blick behindern die Flanerie der Frau. Das Paula Modersohn-Becker Museum (PMBM) zeigt jetzt Malerinnen, die sich dagegen behauptet und ausgerechnet in den Domänen der Männer herumgestöbert haben, also den Bars und Kneipen, Bordellen und Spielhöllen.
Etwa 70 Bilder der Bonner Macke-Haus-Ausstellung „Femme Flaneur – Erkundungen zwischen Boulevard und Sperrbezirk“ werden in einer sehr dichten Hängung präsentiert. Natürlich hat PMBM-Direktor Rainer Stamm Bezüge zur Namenspatronin seines Hauses entdeckt. Während Ida Gerhardi erste Szenen aus dem Pariser Tanzlokal „Bal Bullier“ mit kühler Diskretion, aber impressionistischer Farbigkeit festhielt, studierte auch Paula Modersohn-Becker an eben diesem Ort das lustige Lasterleben. So wurde ihre Gouache „Musiker auf Empore“ (1898) neben die Werke Gerhardis platziert.
Zentrales Thema der malenden Flaneurinnen ist die sexuell aufgeladene Atmosphäre. Wir sehen Menschen, die sich anpreisen, inszenieren, ihre Gier nicht verheimlichen können, aber auch fix und fertig vom Amüsierbetrieb darniedersinken. Während Lou Albert-Lasard in der metropolitanen Flut flüchtiger Impressionen schwelgt, skizzenhaft, verhuscht, stilisiert Grethe Jürgens ihre teilnahmslos geschilderten Beobachtungen schon mit neu-sachlicher Kühle. Käthe Kollwitz und Elfriede Lohse-Wächtler zeigen Figuren vor allem leidend unter dem für sie mausgrauen Wust trister Normalität – inmitten der Vergnügungspracht. Expressionistische Aufschwünge sind überall gegenwärtig. Es findet sich keine Flaneurin der reinen Oberfläche, das dahinter Liegende ist stets angedeutet.
Ästhetisch allerdings orientieren sich die Flaneurinnen an den Flaneuren. Edgar Degas, George Grosz, Toulouse-Lautrec oder Otto Dix bleiben unerreichte Vorbilder. Der weibliche Blick besticht aber durch einen leicht anderen Fokus: ein bewundernswertes Gespür für stimmungsstarke, suggestive Details und verunglückte kleine Gesten.
Jens Fischer
Eröffnung morgen, 16.1., 11.30 Uhr; die Ausstellung ist bis zum 3. April zu sehen, Di - So 11 bis 18 Uhr