Das Rollkommando Gottes

Heinz Rudolf Kunze stellt den offiziellen Song zum Kirchentag 2005 vor: „Mehr als dies“

„Was man gahanz tief drinnen spühürt, / das kommt nicht von ungefähär“

HANNOVER taz ■ Was ist das? „Wenn mehrere hunderttausend Menschen zu einem Abend der Begegnung unter dem Motto ‚Lass leuchten‘ zusammenkommen“ und „im Zentrum der Stadt ein großes Monument der Fragen an Gott und die Welt errichtet ist“, wenn den Bürgern von Hannover Landplagen wie Friedrich Schorlemmer, Antje Vollmer, Hans Küng, Otto Schily, Horst Köhler oder Jürgen Fliege täglich bei „Nordsee“ begegnen – was ist das? Ein Stück von Schlingensief? Ein Albtraum? Die Expo? „Das ist der Kirchentag“, jubiliert Moderator Gerald Labitzke, und sein gegelter Scheitel glänzt im Kerzenschein.

Labitzke darf an diesem Donnerstag den Kirchentag 2005 ankündigen. „Das ist wie Woodstock“, gurrt Heinz Rudolf Kunze. Der Sänger ist hier, um auch etwas anzukündigen. In der Lutherkirche Hannover wird er den offiziellen Song zum Kirchentag vorstellen: „Mehr als dies“ heißt das Werk, mit dem er endlich wieder richtig Kasse zu machen hofft.

Das Lied hat Kunze gemeinsam mit Gitarrenknecht Heiner Lürig verfasst. Das Duo tendendierte früher eher zum Agnostizismus. Aber als die Geschäfte schlecher gingen, Herr Labitzke anrief und die Stiftung Niedersächsischer Volks- und Raiffeisenbanken einen dicken Vorschuss auf den Tisch legte, wurde aus der lutherischen „Karteileiche“ Heinz Rudolf schnell der „evangelische Christ und Liedermacher Kunze“. Bei 150.000 avisierten Betbrüdern und -schwestern als Kunden eine nachvollziehbare Bekehrung.

Ehe es mit dem offiziellen Gesang losgeht, darf aber zunächst einmal der Landesvater ran. Ministerpräsident Christian Wulff erläutert kurz sein radikal christliches Regierungskonzept und zitiert das 5. Buch Mose 6, worin sein Niedersachsen, wo Milch und Honig fließen, ja quasi schon projektiert ist. Sein persönliches Erweckungserlebnis habe der Ministerpräsident anlässlich des ökumenischen Kirchentags in Berlin gehabt, trompetet Wulff ins Mikrofon und beschreibt, wie er jungen Menschen in der Hauptstadt zu Speis und Trank verhalf: „Seitdem hat mich die Begeisterung für den Kirchentag gepackt.“ Ergriffen applaudiert das Auditorium, selbst die Opposition in Gestalt von Hannovers Bürgermeisterdenkmal Herbert „Schmalle“ Schmalstieg stopft sich ganze Brötchenhälften in die Backen, um die Hände zu rühren.

So viel tätige Nächstenliebe passt nicht jedem. „Religion ist heilbar“, dröhnt es von draußen durch die Eichenpforte, wo ein Schärflein Autonomer aufgelaufen ist, nimmermüde trillerpfeift und Transparente in die Höhe hält. „Die CDU ist schlimmer als die Hölle“ steht darauf und „Quotenkunze halt’s Maul“. Da schmunzelt der „Wahrheit“- Korrespondent und muss sich prompt von der Hannoverschen Allgemeinen fragen lassen, ob die taz diesen Ketzeraufstand inszeniert habe. „Um Gottes Willen, wir haben Kunze engagiert“, erklärt der „Wahrheit“-Reporter.

So etwas Ähnliches vermutet wohl auch Landesbischöfin Margot Käßmann, der Kunzes Werk schon vorab zu Ohren gekommen war. Auf Labitzkes Frage, wie ihr der Song gefalle, antwortet die synodale Moralsirene mehr frostig als diplomatisch: „Mein Lieblingslied ist das nicht. Das heißt ‚Komm Herr segne uns, dass wir uns nicht trennen‘.“ Denn das sei eine echte Hymne zum „Mitsingen, Mitschwingen und Mithallen“. Doch das Einzige, was derweil mithallt, ist das Rollkommando der Polizei, das die Ruhestörer vor der Tür ordnungsgemäß einkreist und ruhig stellt. Doch nun wird es Zeit für Heinz Rudolf Kunzes Band und den „Predigerchor“ aus der schönen Samtgemeinde Weetzen und das Lied:

„Wenn dein Kind dich morgän frahagt: / ‚Wozu sind wir auf der Wehelt?‘ / Wenn es anfängt, sich zu wuhundern, / wenn es wihissen will, was zähält / – seine Augän sind so grohoß wie ein weites Mehenschenmeer / dann bleiheib nicht die Antwort schuhuldig, fällt sie dihirr auch manchmal schwähär. / Was man gahanz tief drinnen spühürt, / das kommt nicht von ungefähär. / Glaube mihir. // Wenn dein Kihind dich morgen frahagt, / morgen Nacht in deinem Trahaum: / Warum hast du dir vorgenommehen, / niemals Kinder zu bekommehen? / Glaubst du, dass duhu alles bihist? / Gib mir Leben, gib mir Rahaum. / Nichts muss bleiben wie es ihist. / Hör, was dir die Zukuhunft sagt: / Meher als diehis. Meher als jehetzt und meher als hiehier / Mehr als diehis. Und meher als wihir. / In uhuns scheint ein Lihicht, das verlieren wir nihicht. / Weil es jemand gihibt, der uns immer liehiebt. / Der fast alles vergihiebt“.

Es ist das pure Grauen. Aber wer es selbst hören möchte: Der offizielle Kirchentagssong plus eine Karaokeversion ist ab sofort für 4,99 Euro unter www.kirchentag.de/shop und in hannoverschen Filialen der Volks- und Raffeisenbanken erhältlich.

MICHAEL QUASTHOFF