: Tiefgefrorene Ursuppe mit giftigem Smog
Der Mond Titan ist ein lebensfeindlicher Ort. Gestern funkte die europäische Raumsonde „Huygens“ erstmals Bilder
Es ist ein Ort so unirdisch und fremd, wie er nur vorstellbar scheint: „Kalte, Eis speiende Geysire“, „aufgetürmte, bunte Schollen aus erstarrten Kohlenwasserstoffen“, „himmelhohe vulkanische Felswände, verhangen von gelbbraunen Wolken, die als klebrig-zäher Schnee herabsinken“. Niemand hat den Titan anschaulicher beschrieben als der polnische Science-Fiction-Schriftsteller Stanislaw Lem in seinem 1986 erschienenen Roman „Fiasko“. Nach allem, was Wissenschaftler in den letzten Jahren über den rätselhaften Saturnmond herausfinden konnten, liegt Lem erstaunlich nahe an der Wirklichkeit.
Ob er tatsächlich Recht behält, wird sich in den nächsten Tagen herausstellen: dann, wenn die Aufnahmen der europäischen Titan-Landesonde „Huygens“ von der Oberfläche des Saturnmondes ausgewertet sind.
Auf die Daten warten Wissenschaftler seit Jahren mit großer Spannung. Denn der Titan ist einer der ungewöhnlichsten Himmelskörper im Sonnensystem. Mit 5.150 Kilometern Durchmesser ist er wesentlich größer als der Erdmond und auch größer als die beiden Planeten Merkur und Pluto.
Vor allem aber ist der Titan der einzige Mond im Sonnensystem mit einer Atmosphäre. Sie besteht zum größten Teil aus Stickstoff, daneben aus wenigen Prozent Methan sowie Spuren von Ammoniak, Zyaniden und anderen organischen Kohlenwasserstoffen. Ein dichtes, giftiges Gebräu.
Doch das ähnelt offenbar der irdischen Uratmosphäre vor viereinhalb Milliarden Jahren – kurz bevor sich auf der Erde das Leben entwickelte. Der Saturnmond, so glauben Planetenforscher, sei eine Art tiefgefrorene Ursuppe, aus der man möglicherweise die Entstehung des Lebens herauslesen könne.
Der dichte Smog über dem Titan verwehrte irdischen Teleskopen bisher fast völlig den Blick auf seine Oberfläche. Aus verschwommenen Radaraufnahmen folgerten Wissenschaftler vor einigen Jahren, dass es auf dem Saturnmond Seen und Ozeane aus Kohlenwasserstoffen wie Ethan geben könne.
Doch das scheint falsch, wie Aufnahmen der „Cassini“-Sonde aus 1.200 Kilometern Entfernung über dem Mond Ende Oktober ergaben. Dafür wurden jedoch Anzeichen geologischer Aktivität festgestellt, so etwa Kryovulkanismus, bei dem Vulkane statt flüssigen Gesteins geschmolzenes Eis ausspeien.
Als der niederländische Astronom Christiaan Huygens den Saturnmond 1655 entdeckte, glaubte er, dieser besitze weder eine Atmosphäre noch Wasser, und er fragte sich, ob auf dem Titan Pflanzen und Tiere existieren könnten.
Das, so viel steht inzwischen fest, ist zumindest an der Oberfläche des Trabanten ausgeschlossen: Auf dem Saturnmond ist es minus 180 Grad kalt, es herrscht bestenfalls fahles Dämmerlicht, und es toben gewaltige Stürme, bei denen der Wind mit der Geschwindigkeit von Düsenjets bläst. KENO VERSECK