DIE KRISE IN BOLIVIEN DROHT AUSSER KONTROLLE ZU GERATEN : Neoliberales Desaster
Die Entscheidung des bolivianischen Präsidenten Carlos Mesa, den französischen Wasser-Multi Suez zum Abzug aus dem bolivianischen Andenhochland aufzufordern, ist ein Sieg der Bevölkerung. Nach dem Rückzug des US-Konzerns Bechtel aus dem bolivianischen Cochabamba im Jahr 2000 und dem klaren Nein zur Wasserprivatisierung in der uruguayischen Volksabstimmung Ende Oktober ist dies ein weiterer Rückschlag für die neoliberalen Strategen in den Vorstandsetagen der Weltbank und der transnationalen Konzerne. Er hat weit über Lateinamerika hinaus Signalwirkung für all jene, die sich dem Ausverkauf öffentlicher Dienstleistungen und Güter widersetzen.
Es ist kein Zufall, dass dieser Widerstand ausgerechnet im armen Bolivien so erfolgreich ist. Denn nach dem Sturz von Präsident Sánchez de Lozada im Oktober 2003 bemühte sich dessen Nachfolger Carlos Mesa zwar redlich, den Staatsanteil an den Gewinnen im Erdgas- und Erdölgeschäft zu vergrößern, ohne dabei marktwirtschaftliche Prinzipien außer Kraft zu setzen. Erfolg hat er damit nicht, solange der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die zahlreichen im Land vertretenen Konzerne zu keinerlei Zugeständnissen bereit sind. Die Streichung der Brennstoffsubventionen, Auslöser der heutigen Proteste, ist eine direkte Konsequenz der Vorgaben aus Washington.
Auch das Erdgasreferendum vom Juli 2004 ist Makulatur. Denn selbst im Parlament, in dem nicht die globalisierungskritische Linke, sondern bürgerliche Kräfte die Mehrheit halten, kann sich Mesa mit seinem allzu moderaten Nationalisierungskurs nicht durchsetzen. Die Oligarchie aus den prosperierenden Provinzen im Osten des Landes einerseits und die indianisch geprägte Volksbewegung aus Kokabauern und urbanem Proletariat andererseits haben nur ein gemeinsames Ziel: den Sturz des Präsidenten.
Damit scheint ein friedlicher Übergang bis zu den Wahlen in zwei Jahren, auf den bislang auch Oppositionsführer Evo Morales gesetzt hatte, immer unwahrscheinlicher. Schuld daran sind jene politischen Kräfte, für die Demokratie und sozialer Fortschritt in Lateinamerika nur Lippenbekenntnisse sind. GERHARD DILGER