: Die grüne Karteileiche: Dieter Drabiniok
Der Mann, der Otto Schily fast gestoppt hätte. Dieter Drabiniok war Mitglied der ersten grünen Bundestagsfraktion. Zum Parteijubiläum ist er nicht eingeladen. Den Hausmeisterjob bei der Heinrich-Böll-Stiftung bekam er auch nicht
Treffen sich zwei Grüne in der Kneipe und haben sich nichts zu sagen. Die beiden Grünen sind Dieter Drabiniok und Jürgen Trittin. Beide Jahrgang 1954. Drabiniok gehörte 1983 der ersten grünen Bundestagsfraktion an, Trittin ist Bundesumweltminister. Auf Einladung des WDR stehen sie an der Theke einer Berliner Gaststätte und sollen über „25 Jahre Grüne“ reden. Nach der Sendung spricht Drabiniok den Minister auf den Emissionshandel an. Trittin mag nicht über Schadstofftausch reden. „Er hat gelächelt und ist drüber weggegangen“, sagt Drabiniok.
Er ist kein Politiker mehr: „Ich bin nur noch Karteileiche.“ Neben Trittin sind auch Grüne wie Ströbele und Michael Vesper zum „Klassentreffen“ erschienen. An der Seite der Promis sieht Drabiniok deplaziert aus. Der gebürtige Bottroper spricht mit leichtem Ruhrpott-Slang. Er trägt keinen Anzug wie Vesper und Trittin, sondern Jeans. Drabiniok hat lange graue Haare, einen langen Bart – wie damals, als die Grünen gegründet wurden.
Bottrop. 1977. Dieter Drabiniok arbeitet als Maurer. „Ich war unpolitisch, habe im Konsumrausch gelebt“, sagt Drabiniok. Seinen Lohn gibt das Kind aus sozialdemokratischem Elternhaus für Boss-Pullover und Auto-Teile aus. Politische Gedanken macht er sich erstmals, als er im Radio hört: „Eine Maurerstunde kostet 49 Mark.“ Er bekommt nur 12,50 Mark und fragt sich: „Wo bleibt der Rest?“ Drabiniok fängt an zu lesen. Das Öko-Manifest „Grenzen des Wachstums“ weckt sein Interesse für Energiepolitik. Drabiniok schreibt Leserbriefe. Gegen die „Wachstumslogik“, gegen den Hunger in Afrika. Allein stellt sich Drabiniok vor Weihnachten in die Bottroper Innenstadt. Auf einem umgehängten Schild fordert er die Bürger auf, den „Konsumrausch“ zu beenden. „In dieser Zeit ging auch meine Ehe auseinander. Ich bin in eine kleinere Wohnung gezogen“, so Drabiniok. Er lässt sich einen Bart stehen und gründet die Grünen mit.
1983. Drabiniok kandidiert für den Bundestag. Bei der Aufstellung der NRW-Landesliste tritt er gegen Otto Schily an. Schily sei zuvor im Landesverband Berlin durchgefallen und sollte jetzt auf der NRW-Liste platziert werden, berichtet Drabiniok. Da macht er nicht mit: „Ich habe das mit der Basisdemokratie immer ernst genommen.“ Aber Drabiniok verliert die Abstimmung gegen Schily um Listenplatz vier. Er bekam den neunten Platz – gewann ausgerechnet gegen Joseph Beuys, den Düsseldorfer Kunst-Professor. „Das tat mir leid“, sagt Drabiniok. Nach der Wahl gratuliert ihm Schily. „Der war froh, dass ich den unberechenbaren Beuys verhindert hatte“, sagt Drabiniok. „Otto, eigentlich hätte ich lieber Dich verhindert“, sagt er dem späteren SPD-Innenminister. „Da hat sich Schily wortlos abgewandt und unser Verhältnis war ab sofort geklärt.“
5,6 Prozent schaffen die Grünen bei der Wahl im März 83. Die Arbeit im Bonner Bundestag ist anstrengend. Ausschuss-Sitzungen, endlose Fraktionsdiskussionen – dazu doofe Witze von CDU-Abgeordneten über seinen langen Bart. In der kleinen Fraktion kümmert er sich allein um die Verkehrspolitik. Obwohl seine Positionen gegen Autobahnen und für die Besteuerung von Flugbenzin in Bonn keine Chancen haben, erwirbt er sich Anerkennung. „Als ich 1985 wegen der Rotation aufhören musste, haben mich auch CDU-Kollegen respektvoll verabschiedet.“
Nach seinem Ausscheiden als Abgeordneter wird er Fraktionsmitarbeiter. Mit anderen gründet er den Verkehrsclub Deutschland. 1989 ist Schluss: „Ich war ausgebrannt.“ Er lernt eine neue Frau kennen. „Wichtiger als Politik war mir jetzt, zum Abendbrot zuhause zu sein“, sagt er. Am Ende rattert er im Schlaf verkehrspolitische Positionen runter. Er hört auf: „Kein Bock mehr auf Stress.“
Seit dem 1. Januar 2005 ist Drabiniok Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Im Bildungsbereich würde er gern arbeiten. Er lebt heute im Saarland. Er schreibt Kurzgeschichten: „Aber nichts, was ich veröffentlichen wollte.“ Mit Rot-Grün kann Drabiniok nichts anfangen. „Die Grünen sind das kleinste politische Übel für mich“, sagt er. Kontakte zu seiner Partei sind selten. Einmal bewirbt er sich bei der Heinrich-Böll-Stiftung – als Hausmeister. „Wegen der Quote haben sie mich abgelehnt.“ Zu den grünen Jubiläumsfeiern wurde er nicht eingeladen, wie viele aus der Gründergeneration. „Die sollen in Berlin ruhig mit ihren edlen Feuerzeugen und Rolex-Uhren klappern. Ich brauche das nicht“, so Drabiniok. Er klingt nicht bitter, eher verblüfft über den Werdegang der Grünen von der ökologischen Basisbewegung zur bürgerlichen Funktionspartei. Wenn er früher gefragt wurde, wofür die Grünen stehen, habe er geantwortet: „Für saubere Luft, klares Wasser und gesunde Nahrungsmittel.“ Heute stünden die Grünen für steigendes Wirtschaftswachstum, stabile Staatsfinanzen und fließende Steuereinnahmen.
MARTIN TEIGELER