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Archiv-Artikel

Aufklärung statt Hemdsärmeligkeit

Darf die Exekutive zu Mitteln greifen, die in ihrem Schadenspotenzial dem des eigentlichen Vergehens in nichts nachstehen? Darf der Rechtsstaat zu Rechtsmitteln greifen, die in ihren Risiken mit dem bestmöglichen Ergebnis in keinerlei Verhältnis stehen? Darf die Polizei zu so rabiaten Methoden auf lediglichen „Verdacht“ zurückgreifen? Weiß sie definitiv von den „inneren Werten“ eines Drogenhändlers, muss sie es nicht. Weiß sie davon nicht, darf sie es nicht. Hat sie nur den Verdacht, sind auch hier die Mittel völlig unzweckmäßig, weil sonst auch mit anderen Mitteln gleicher Größenordnung die „erwünschten“ Aussagen erzielt werden könnten. Wir hätten dann Rechtsverhältnisse wie im Mittelalter, bzw. wie in Guantánamo. Nach der jüngsten Tragödie um den nun toten Drogenhändler hätte es einer klaren, sachbezogen-kritischen Aufklärungsstrategie, nicht aber einer politisch-populistischen Hemdsärmeligkeit bedurft. In Deutschland sterben 40.000 Menschen an den Folgen ihrer Alkoholabhängigkeit, rund 1.600 Personen an den Folgen ihres Drogenmissbrauchs. In über 90 Prozent späterer Abhängigkeit von illegalen Drogen war und ist Alkohol der wirkliche „Einstieg“. Der Leiter dieses größten Bremer Drogenhandels hingegen wird nicht festgenommen, sondern als Mitglied des Bremer Senats erneut resozialisiert. Wenn Innensenator Röwekamp wirklich etwas gegen den Substanzmissbrauch unternehmen will, wird er an einer Politik der Vermittlung von Lebenskompetenzen (Empowerment) gerade in sozial benachteiligten Schichten, der Schaffung von bedürfnisgerechten Lebensbedingungen und einer angemessenen, sozialen Gesundheitsversorgung nicht umhin kommen – doch auch und gerade seine CDU hat mit ihrer kastenorientierten Verschlimmbesserung von Bildungspolitik, den weiteren Forderungen nach schier grenzenloser, wirtschaftspolitischer Deregulierung und dem Kniefall vor der Unersättlichkeit der Medizin-Industrie den VerliererInnen der dahinter stehenden Mentalitäten überhaupt nichts zu bieten.

Dr. rer. pol. Dirk Wassermann, Bremen