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Archiv-Artikel

Drei, zwei, eins … doch lieber keins

Mehr Kinderbetreuung heißt das Zauberwort im Kampf gegen die niedrige Geburtenrate in Deutschland. Kein Wunder. Das Schlagwort eignet sich ausgezeichnet, um das traditionelle Mutterbild zu zementieren. Doch es müsste dringend reformiert werden – vor allem von den Frauen selbst

VON SUSANNE LANG

„Neulich sprach mich jemand darauf an, dass ich ja langsam auch ins Mutterfach käme. Ähmm! Dagegen möchte ich mich doch noch wehren.“ Nina Hoss, 29, Schauspielerin (taz vom 17. Mai 2004)

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Schauspielkunst einen Begriff für das eigentliche Dilemma in der Debatte um die niedrige Geburtenrate in Deutschland anbietet: das Mutterfach. Denn immer weniger junge Frauen sind bereit, die Rolle der Mutter zu spielen. Der Feind ist in der politischen Auseinandersetzung schnell ausgemacht: das „gesellschaftliche Klima“ (SPD-Familienministerin Renate Schmidt) müsse sich dringend ändern, das Betreuungsangebot ausgebaut werden. Skandinavien und Frankreich beweisen dies mit ihrer guten Betreuungsinfrastruktur.

Nur überlagert bei uns die Diskussion um verbesserte Rahmenbedingungen eine Debatte, die tatsächlich geführt werden müsste: Wie sieht ein zeitgemäßes Mutterbild aus, in dem sich junge, emanzipierte und akademisch gebildete Frauen wiederfinden? Und wie das zugehörige Familienmodell? Sowohl die Rolle der Frau als auch des Mannes müssen neu zusammengedacht werden, eben als Eltern, als Familie. Vorschläge für ein solches Modell macht etwa der Berliner Soziologe Hans Bertram, der für eine neue Fürsorglichkeit plädiert. Da die Zeit für die Realisierung des Kinderwunsches in Deutschland der langen Ausbildungsphase wegen knapp sei, müsse diese „Rushhour“ optimaler gestaltet werden – von beiden Partnern. Eine Lösung wäre eine Art von Familienmanagement, das eine neue Arbeitsteilung zwischen Mann, Frau und staatlichen Institutionen wie Schulen oder Kitas beinhalte. Eine dreigeteilte Verantwortung.

Dass diese Debatte fehlt, liegt jedoch an den Frauen selbst. Sie sind in die Falle getappt, die die feministische Emanzipation aufgestellt hat: Das Leitbild der selbstständigen Frau ist nicht nur schwer erkämpft; ihr Recht auf Arbeit, Freiheit, Unabhängigkeit ist darüber hinaus immer in Antihaltung, im Kampf gegen die Männer durchgesetzt. Kein Wunder, dass es in dieser Kampfzone schwer fällt, sich in einem Familienmodell wirklich gleichberechtigt und auf Augenhöhe zu arrangieren. Kein Wunder, dass es so schwer fällt, den Partner für die Kinder zu finden (siehe Kasten), wenn er perfekt sein muss, aber faktisch doch nur ein Mann ist. Wie die Frau nur eine Frau ist.

Happyend nicht in Sicht

In kaum einem anderen europäischen Land ist die Rolle der Mutter noch derart ideologisch aufgeladen wie in Deutschland. Nirgends wird so heftig an Drehbüchern gearbeitet, die letztlich doch nur auf einem dualistischen – und bis ins 18. Jahrhundert zurückführendem – Rollenmuster aufbauen: die Frau als Mutter gegen die Frau als Nichtmutter; ein Happyend finden jene Frauen, die sich um den Gegensatz gar nicht erst kümmern müssen, wie es vor allem in ländlich strukturierten, konservativ geprägten Regionen gängig ist. Familie, ein mütterliches Drama, von den Frauen selbst inszeniert.

In kaum einem europäischen Land liebt daher auch die Politik dieses Rollenmuster als Inszenierungsmittel – sowohl das konservative Lager als auch das linksliberale. Wenn Angela Merkel („Mächtigste Frau Deutschlands“, Beckmann) ein Problem haben sollte, dann am wenigsten mit den Machtmännern in ihrem Nahumfeld. Der CDU-Vorsitzenden fehlt auf ihrem Weg an die Spitze der Republik ein wesentliches Inszenierungsmoment: Kinder. Die Nichtmutter Angela Merkel wird deshalb eines nie repräsentieren: Fürsorglichkeit.

Diese Zuschreibung misst dem traditionellen – und gerne von konservativer Seite besetzten – Frauen- und Mutterbild in einem entscheidenden Aspekt politische Bedeutung zu: Seine Aufgabe besteht vor allem darin, mit aller weiblichen Selbstaufgabe die Kinder zu guten Staatsbürgern zu erziehen. Es geht um nichts Geringeres als die Reproduktion einer politischen und gesellschaftlichen Kultur, die ihren Ursprung in der privaten Keimzelle Familie hat. Sie ist es zudem, die einen ultimativen Rückzugsort anbietet, die das Bedürfnis nach sozialer Aufgehobenheit auch noch erfüllen kann, wenn sich der Sozialstaat zurückzieht – „Cocooning“, wie sich diese Alternative trendy nennt. Mit einer entscheidenden Auswirkung für die Rolle der Mutter: Familie liegt in ihrer Verantwortung. Und daran hat noch keine Emanzipationsbewegung rütteln können.

Nicht nur Sozialdemokraten, insbesondere auch die Grünen haben diese Bedeutung von Familie nach halbgaren Emanzipationskämpfen in den Sechzigern und Siebzigern sehr wohl präsent und nutzen sie gleichwohl cleverer, als Konservative es je vermochten: Nicht nur Familienministerin Schmidt verweist in Talkshows und Homestorys, ganz selbstverständlich, auf ihre Rolle als Mutter – denn nur einer Mutter, überdies einer allein erziehenden, wird Glaubwürdigkeit attestiert, wenn sie über den Ausbau von Kinderbetreuung, also die Verlagerung von mütterliche Fürsorge an Institutionen, spricht. Des Kanzlers Gattin wiederum, bereits Mutter eines leiblichen Kindes, adoptiert wiederum und hält nebenbei nach erfolgreicher und freiwillig beendeter Karriere Haus und Hund zusammen.

Erst Karriere, dann Kind und Familie – und zwar als bewusste Entscheidung: Dieses Modell erobert sich seit den Neunzigern beständig seinen Platz in der Gesellschaft zurück. Nicht nur Alexa Hennig von Lange („Ich bin die Frau von Joachim Bessing“) propagiert nebst Gatten eine „Rettung der Familie“, gesteht, dass sie einen Fehler gemacht habe, als sie sich als allein Erziehende für ein Kind entschieden hatte, um schließlich geläutert nur um so glücklicher in ein Patchwork-erweitertes traditionelles Familienleben auf dem Land bei Hannover einzutreten. Den Karriereehrgeiz verlagert frau auf das Projekt Kind, das nun mit aller Perfektion durchgezogen wird – als Inventar und Ausstellungsstück für ein sozial- und biopolitisch perfekt designtes Leben.

Frauen spielen dabei jenen Part der Fürsorglichkeit gegen Männer aus, als Plus, der ihre Rolle aufwertet und jede Form einer Neudefinition des außerhäuslich absichernden Mannes und Vaters verhindert. Falls der Mann die Kinderbetreuung übernimmt, hat dies meist ökonomische Gründe: Dann, wenn sein Gehalt geringer ist als das der Frau. Familie? Bleibt so Frauensache.

„Fehlendes Humankapital“

Mittlerweile haben Staat und Wirtschaft ihr Interesse an Familien wieder entdeckt; und zwar, seit die Diskussion über „Humankapital“ und die demografische Entwicklung auf dem Kampfplatz Familie ausgetragen wird. Und es ist das Mutterbild, das ökonomischen und sozialpolitischen Bedürfnissen angepasst werden muss.

Das Wirtschaftssystem selbst produziert Familienbilder, präsentiert Modelle und macht gleichzeitig Angebote für die daraus resultierenden Bedürfnisse. Eingebettet in die Konsumkultur, wird Familie zum Ort der Träume und Projektionen, wie es die israelische Soziologin Eva Illouz für die Liebe, die Romantik nachgezeichnet hat. Diese Träume zielen – egal ob in Werbespots für Schokolade, Waschmaschinen oder Autos – auf eines ab: Glück – und das möglichst perfekt. Familie als schöne Illusion, in der funktionale Aspekte wie Alltagsmanagement keinen Platz haben können. Flankieren lässt sich dieses Glücksversprechen von einem Überangebot an Erziehungsberatern, die in den TV-Supernannys ein lebendes Pendant gefunden haben. Letztlich handelt es sich um Maßnahmen gegen eine Überforderung, die nicht so groß wäre, würde man die Idee der Familie realistisch begreifen. Jetzt dominiert die Angst, etwas falsch zu machen – als ginge es um einen Fehlkauf bei eBay: „Drei, zwei, eins … doch lieber keins“.

Besser wäre, wenn das Kind weniger als Objekt von Selbstverwirklichung betrachtet würde. Sondern als Glück, einfach so – ohne ideologischen Krimskrams. Und gerne mit Krippenplatz!