: Raum zur freien Entfaltung
BERLINER DOPPELPACK In der Neuen Nationalgalerie und im Deutschen Guggenheim zeigt der Maler und Bildhauer Imi Knoebel, woher er kommt und wovor er keine Angst hat
VON MARCUS WOELLER
Im Raum 20 an der Kunstakademie Düsseldorf tagte die Klasse von Joseph Beuys. Elf Jahre lang, bis der spätere Bundespräsident und damalige Erziehungsminister Johannes Rau ihn fristlos entließ, unterrichtete er hier eine Generation von Studenten, aus der Künstler und Künstlerinnen wie Katharina Sieverding oder Jörg Immendorff hervorgingen. Klaus Wolf Knoebel, Werkkunstschüler aus Darmstadt, wollte unbedingt in diese notorisch überfüllte Klasse, scheute sich aber, da er nicht einmal zeichnen konnte. Beuys jedoch wurde seinem Ruf als Antikünstler und großherziger Pädagoge gerecht, nahm Knoebel in die Klasse auf, ohne sich auch nur die Mappe anzuschauen und stellte ihm und seinem Künstlerfreund Rainer Giese auch noch den nebenan liegenden Raum 19 zur freien künstlerischen Entfaltung zur Verfügung.
Zur mythischen Ikone der westdeutschen Kunstgeschichte wurde Knoebel mit seinem Werk „Raum 19“ von 1968. Als rheinische Antwort auf Donald Judds Minimal-Art-Container aus gebürstetem Aluminium und Hochglanzlack produzierte er einen überdimensionierten Baukasten aus Hartfaserplatten, Keilrahmen und Kuben, Trapezoiden und Bogenelementen. Wie die Objekte seines amerikanischen Kollegen bestechen die Baukörper durch Präzision und schlichte Eleganz in der handwerklichen Ausführung, allerdings in völlig anderer Materialität und Farbigkeit. Die über 70 Teile im MDF-typischen Braun lassen sich zu immer wieder neuen Installationen arrangieren, gruppieren oder übereinanderstapeln.
Der Direktor der Nationalgalerie Berlin, Udo Kittelmann, hat für seine erste Ausstellung im für die Moderne reservierten Haus erst mal die Hallen von aller Kunst und allen Einbauten leer gefegt. Über den sich jeder Ausstellungslogik beharrlich entziehende Bau von Mies van der Rohe bekennt Kittelmann: „Ausstellungen, die auch an einem anderen Ort stattfinden können, sind nicht die richtigen für diese Halle.“ So entzieht sich „Raum 19“ zunächst auch dem Sichtfeld. Zu beiden Seiten lehnen sich seine Einzelteile diskret an die L-förmigen Holzwände, die links und rechts die Garderoben des Museums bilden. Eng zusammengestellt bilden sie zwei korrespondierende Segmente der Arbeit: formal architektonische Silhouetten einerseits, Zitate des längst in die Geschichte eingegangenen Akademiealltags andererseits.
Energie sammeln und in sublimierter Form zur Entladung bereitstellen. Auf dieses Prinzip, das auch Beuys in seiner Kunst umgesetzt hat, spielt Knoebels Arbeit „Batterie“ von 2005 an. Der voluminöse, technoid-monolithische Quader drängt sich wie ein Fremdkörper in den „Raum 19“. Im Dunkeln aber erhellt er die Installation mit einem geheimnisvollen Leuchten, denn die Oberfläche ist mit einem gelbgrün phosphoreszierenden Material beschichtet.
Licht spielt im Mies-Bau eine wichtige, wenn auch schwierige Rolle. Entweder zu hell oder zu verschattet, verführt er die Besucher eher nach außen in den Stadtraum als auf die Kunst zu blicken. Nun konzentriere sich die Energie des Raums nach innen, meditiert der Kurator Eugen Blume über die Zen-buddhistische Qualität des umlaufenden Wandgemäldes, das Knoebel der Glasfassade verpasst hat. Alle Scheiben sind mit verschieden kolorierten Weißtönen bemalt: Ein monumentaler, leuchtender Projektionsschirm, auf den allerdings nichts projiziert wird – er steht nur für sich selbst.
Seine farbige Seite präsentiert Imi Knoebel in der Parallelausstellung in dem Deutschen Guggenheim. Hier zeigt er, wo er malerisch herkommt und wovor er keine Angst hat. „Ich Nicht“ antwortete er auf die rhetorische Frage Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ und verschiebt dessen immersive Bildtafeln in den dreidimensionalen Raum. Mit Rückwand, zwei Seitenwänden und einer reflektierenden Bodenplatte konstruiert Knoebel Farbräume, die nicht mehr erhaben sein wollen, sondern ganz pragmatisch Zeugnis abliefern, wie die drei Grundfarben nebeneinander wirken, sich gegenseitig spiegeln, aufheben oder verstärken können. Malewitsch und Mondrian sind als Vorbilder ebenso zu spüren wie die amerikanischen Farbfeldmaler. Knoebel angelt bis heute in den Aquafarmen der „non-objective art“. Er wird abstrakt, wo es kaum noch etwas zu abstrahieren gibt, und dehnt das Geometrische ins Gestische. In neuen Arbeiten wie „Fishing Blue“ oder „Fishing Pink“ stellt Knoebel Beziehungen zwischen Farben und Formen in Serie her. Damit ist er längst in den Kanon der modernen Kunst eingegangen.
■ Bis 9. 8., „Zu Hilfe, zu Hilfe …“, Neue Nationalgalerie Berlin; bis 26. 6., „Ich Nicht – Neue Werke“, Deutsche Guggenheim Berlin