kommentar: psychiatrische einweisungsflut : Staatsgewalt stoppen
In Städten mit einem sozialpsychiatrischen Dienst, der mehr ist als ein paar gut gemeinte Worte auf Papier, wird deutlich weniger Zwang gegen Menschen mit psychischen Störungen ausgeübt. Ambulant und vor Ort fallen die Entscheidungen der Psychiater also anders aus als in einem Krankenhaus.
Mehr Gewalt durch psychisch Kranke gegen sich oder andere verzeichnen diese Kommunen trotzdem nicht: Offensichtlich ist ein Gros der Zwangseinweisungen also medizinisch überflüssig.
Dafür ist ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik für die Einrichtung ein lukratives Geschäft: Ungefähr 450 Euro kostet ein Tagessatz die Krankenkassen – ein nicht zu unterschätzender Antrieb, die Zwangsmaßnahme schneller parat zu haben.
Eine weitere Ursache liegt in der allgemeinmedizinischen Ausbildung: Psychiatrie ist hier nicht vorgesehen. Trotzdem müssen in akuten Krisensituationen häufig eben diese Allgemeinmediziner über eine Zwangseinweisung entscheiden – aus Unsicherheit wird dann womöglich zur sicheren Lösung gegriffen.
Um die unwürdige Flut von Zwangseinweisungen in Nordrhein-Westfalen in den Griff zu bekommen, scheint eine flächendeckende Ausstattung mit einer ambulanten Krisenhilfe sinnvoll zu sein. Sozialpsychiatrische Dienste werden jedoch hauptsächlich von den finanzschwachen Kommunen finanziert und nicht von den Krankenkassen. Eine bedarfsdeckende Versorgung bleibt so Utopie.
MIRIAM BUNJES