JENNI ZYLKA über PEST UND CHOLERA: Auf den Höfen des Friedens
Ich mag Hunde, die sich wie Hunde und Tote, die sich wie Tote benehmen – anders also als Daisy oder Falco
Früher wohnte ich in einem Teil Berlins, in dem es so wenige Bäume gab, dass man sich zum Schutz vor den vielen herumfliegenden Pistolenkugeln nur hinter leeren Bierdosen verstecken konnte. Wenn man Sauerstoff brauchte, musste man den Stadtteil wechseln, oder einen Spaziergang über einen der zahlreichen Friedhöfe machen. Ich lernte in diesen Jahren die Ruhe und die gute Luft auf Friedhöfen zu schätzen: keine Jogger, keine Köter, kaum Kinder und keine Nackt-in-der-Sonne-Brater.
Prominente Tote findet man auf den Friedhöfen jenes Stadtteils allerdings selten. Das stört mich aber nicht, ich bin eigentlich überhaupt keine Grabgeherin, die einzigen Gräber, die ich mal vorsätzlich besuchte, waren die von Rimski-Korsakoff und Falco.
Um Rimski-Korsakoffs Grab kam man quasi nicht herum, der Grabstein ragte derart auffällig auf einem St. Petersburger Friedhof empor, dass ich all meine Kyrillisch-Kenntnisse zusammenkratzte und nach einer Stunde endlich stolz seinen Namen entziffert hatte.
Und von Falcos Grab hatte man mir erzählt, es schmücke sich mit dem hässlichsten Achtzigerjahre-Grabstein, den je ein Mensch ersonnen hat. Das stimmt: Er ist aus Plexiglas und sieht aus wie etwas, was bei einer „Formel 1“-Sendung als Bühnendeko-Element zwischen Nena und ihrem Keyboarder, diesem Uwe, gestanden hätte.
Ganz sicher werde ich auch nicht zu Moshammers Grab gehen. Seinen Köter adoptieren möchte ich ebenfalls nicht. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Die Hundedame kann nur begrenzt etwas dafür, sie ist schließlich einfach ein in die Irre geleitetes Tier mit Herdentrieb und hat sich ihre Homepage (www.daisymoshammer.de) und den ganzen Schmu nicht selber ausgedacht.
Aber ich mag lieber Hunde, die sich auch wie Hunde benehmen. Oder wenn nicht, dann sollten sie wenigstens etwas anderes Schönes können, so wie der Hund, der mal bei „Wetten, dass . . !?“ war und 200 verschiedene angesabberte Stoffpuppen unterscheiden und auf Abruf apportieren konnte, unter anderem auch einen ekeligen BVB-Stoffball.
Wenn Daisy Moshammer wenigstens, na ja, sagen wir fünf verschiedene angesabberte Stoffpuppen unterscheiden könnte, würde ich noch mal drüber nachdenken, ob ich sie vielleicht doch adoptiere.
Aber das ist gar nicht so einfach, erzählte mir meine Freundin, eine Hundenärrin, neulich. Sie habe nämlich damals in den Siebzigern versucht, dem Familienhund mickrige drei verschiedene Apportierobjekte einzupauken, und selbst das habe nur hin und wieder mal geklappt.
Das könnte aber auch daran gelegen haben, ergänzte meine hundefreundliche Freundin selbstkritisch, dass die zu apportierenden Objekte in der dort eigenen Mundart das „Knöllsche“, das „Röllsche“ und das „Bällsche“ geheißen hätten. Wie soll ein kleiner Hund einen solchen Slang verstehen! Ich kann’s ja auch nur, wenn ich mich ganz doll konzentriere.
In Hamburg gibt es jedenfalls einen Friedhof, der so groß ist wie fünf „Paradise Islands“ und noch drei „Center Parcs“ nebeneinander, ein wahres Ressort der Ruhe, es fahren sogar eigene Buslinien von Kapelle zu Kapelle, und ein Interview mit einem dieser Friedhofsbusfahrer wäre so ein richtiges SZ- Magazin-Letzte-Seite-Thema.
Man könnte eine Menge einfacher Fragen stellen und auf den ersten Blick einfache, aber auf den zweiten derart tiefsinnige Antworten bekommen, dass es dem jovialen SZ-Magazin-Leser eine reine Freude wäre.
Aber bevor ich Interviews für die letzte Seite vom SZ-Magazin führe, wird vermutlich noch eine Menge Wasser den Styx hinunterfließen.
PS: Wenn ich mal in Paris aufwachen sollte, dann würde ich auf jeden Fall Chopins Grab besuchen. Ich bin sicher, er würde im Sarg rotieren, wenn ich an seinem Gedenkstein stehe, jemand mich auf dem Handy anruft und das Ding eine digitale Version seiner „Grande Valse Brillante“ dudelt.
Fotohinweis: JENNI ZYLKA
PEST UND CHOLERA Fragen zum Styx? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahns ROTKÄPPCHEN
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