: Die Käfiglobby und der Dioxinskandal
Krebs erregendes Dioxin in Freilandeiern: Verbraucher- und Umweltorganisation argwöhnen, Freiland-Gegner würden die Geschichte hochspielen. Agrarministerin Künast für Ausbaggerung der Böden. Bauern: Wer soll das bezahlen?
VON HANNA GERSMANN
Ach du dickes Ei. Bei Iris und Max Weiland klingelte gestern dauernd das Telefon. Die beiden haben einen Hühnerhof, auf dem die Tiere draußen herumlaufen können. Seit dem Wochenende ist diese artgerechte Haltung in Verruf: Eier von glücklichen Hühnern können mit Dioxin aus dem Erdboden belastet sein. Weilands Kunden sind nun verunsichert – genau wie viele andere Liebhaber der proteinreichen Frühstücksbeilage.
Dioxin, auch als Seveso-Gift bekannt, gilt als Krebs erregend. „In Eiern hat das nichts zu suchen“, sagt Weiland. Er will nichts vertuschen, auch nicht verharmlosen. Doch die Anrufer kann er, der in wenigen Stunden selbst zum Giftexperten wurde, ein wenig beruhigen „Es gibt stark und weniger stark belastete Regionen in Deutschland.“ Der Freudentalhof bei Witzenhausen gehöre zu Letzteren. Dioxine entstehen dort, wo Müll verbrannt, Papier gebleicht, Stahl, Aluminium oder Kupfer hergestellt werden. Im ehemaligen Zonenrandgebiet fehlen solche Anlagen. Solange keine genauen Analysen vorliegen, ist sich jedoch auch Weiland nicht ganz sicher, so sagt er. Der Schadstoff reichert sich im Boden an und baut sich nur ganz langsam ab. Selbst in der Ostsee lässt sich Dioxin noch nachweisen.
Hennen, die auf belasteten Böden im Freien scharren und picken, nehmen es auf. Zunächst lagert es sich im Fett an, später gelangt es ins Ei. Seit in den 80er-Jahren die Industrie verpflichtet wurde, Filter einzubauen, wird nicht mehr so viel Dioxin frisch in die Umwelt entlassen. Es handelt sich deshalb um eine klassische Altlast, erklärt denn auch Bauer Weiland – und um ein bekanntes Problem.
Schon vor zweieinhalb Jahren hat die Europäische Kommission Grenzwerte festgelegt – für Fleisch, Fisch, Milch und Ei. Je nach Lebensmittel liegen sie zwischen 0,75 und 6 billionstel Gramm, Pikogramm genannt. Nur: Für Freilandeier wurde der Grenzwert bis zu diesem Januar ausgesetzt. Darauf hatten Belgien und die Niederlande gedrängt.
Warum ist die Aufregung ausgerechnet jetzt so groß? „Eine politische Aktion gegen das Ende der Käfighaltung“, vermutet Agrarexperte Hubert Weiger vom BUND. Es sei auffällig, dass Länder, die im Bundesrat immer pro Käfighaltung gestimmt haben, jetzt plötzlich erhöhte Dioxinwerte meldeten: Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. „Alles kein Zufall“, sagt auch der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel. Und Thilo Bode, Chef der Verbraucherorganisation Foodwatch, findet: „Die Sache wird total hochgespielt.“ Tatsächlich seien etwa in Niedersachsen nur sieben Proben analysiert worden – und davon hätten gerade mal zwei den so genannten Auslösewert überschritten. Der liegt aber noch unter dem Grenzwert. Weiger, Apel und Bode betonen freilich, dass Dioxin-Eier in keinem Fall in den Handel gehörten.
Das findet auch Bauer Weiland. Er fordert die Regierung auf, die Belastung der Böden von Flensburg bis München zu kartieren. In belasteten Gebieten dürften die Hennen nur noch im Gebäude gehalten werden, sagt er. Das wäre das Aus für Ökoeier etwa in der baden-württembergischen Region Kehl. Grund: eine Müllverbrennungsanlage.
Von einem Verbot spricht die Grünen-Agrarministerin Renate Künast allerdings nicht. Sie will lieber die Böden sanieren. Das Freilandhuhn brauche 15 Quadratmeter Auslauf und ein Hof mit 10.000 Tieren eine Fläche so groß wie 15 Fußballfelder, rechnet Weiland jedoch vor. Zudem müsse der Boden mindestens 28 Zentimeter tief ausgebuddelt werden. „Wer soll das bezahlen?“, fragt der Bauer.
Beruhigung für die Eierliebhaber: Eine akute Gesundheitsgefahr geht vom Gift unter der Schale nicht aus. Das sagen alle Experten. Vielen Verbrauchern dürfte der Appetit dennoch langsam vergehen. Foodwatch-Chef Bode: „Fisch aus der Ostsee ist noch viel stärker mit Dioxin belastet als das Ei.“