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Archiv-Artikel

armutsbekämpfung Es sind Menschen, nicht Krisen

Wer wissen will, warum immer noch viele hundert Millionen Menschen auf der Welt in bitterster Armut leben, sollte irgendwo tief in der afrikanischen Savanne in ein Dorf gehen – am besten zu Fuß und ohne Gepäck. Was zum täglichen Überleben nötig ist, gibt es immer nur nach harter Arbeit, und was das Leben leichter machen würde, ist oft unerreichbar weit weg. Alles, was die Distanz zur Welt der Reichen symbolisch verringert – Radios, Autos, Mobiltelefone, Markenkleidung –, ist heiß begehrt. Aber jenseits solcher Statussymbole ist das bessere Leben immer woanders. Um es zu finden, muss man fortgehen.

KOMMENTARvon DOMINIC JOHNSON

Solange dies so ist, kann die Halbierung der weltweiten Armut bis 2015, die ein UN-Gipfel vor fünf Jahren beschloss, nicht nennenswert vorankommen. Auch wenn sich auf dem ganzen Planeten inzwischen Zonen glitzernden Fortschritts ausbreiten, bleiben dazwischen die Zonen der Finsternis, in denen das Elend unüberwindbar erscheint. Sie grenzen sich zunehmend voneinander ab. Manchmal, in den Megastädten der Welt, leben Arm und Reich unmittelbar nebeneinander – und es wachsen hohe Mauern, mit Privatarmeen auf beiden Seiten. Manchmal sind die Zonen des Elends Kriegsgebiete, vom Rest der Welt so gut wie abgekoppelt – dann sind ihre Bewohner zum Tod oder zur Flucht verurteilt.

Eine effektive Armutsbekämpfungspolitik kann es nur geben, wenn es gelingt, die mentale Distanz zwischen den Zonen des Reichtums und den Zonen der Armut zu verringern. Die Empfehlungen der UN-Kommission von Jeffrey Sachs zur Erfüllung der UN-Millenniumsziele sind ein Versuch dazu. Jenseits altbekannter Forderungen nach einer Verdoppelung der Entwicklungshilfe unternehmen sie einen geistigen Schritt nach vorn: Die Welt der Armen als eigenen Lebenszusammenhang zu begreifen, den es an sich zu respektieren und zu sanieren gilt. Nicht als punktuell wahrgenommene Krise, die man zufällig mal entsetzt zur Kenntnis nimmt, mit Mildtätigkeit überschüttet und dann schnell vergisst.

Entwicklungszusammenarbeit nicht als Kriseninterventionismus mit Hilfe für passive Opfer, sondern als Politik der Partnerschaft, die gemeinsam von Arm und Reich zu gestalten ist: Das wäre nach den Diskussionen über Hilfe für Asiens Flutopfer ein wirklicher Fortschritt. Wird die Herausforderung angenommen? Der Sachs-Bericht zeigt, dass das Ergebnis sich lohnt.

wirtschaft und umwelt SEITE 9