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Archiv-Artikel

100.000.000 Isländische Kronen

Hungrige Wildgänse und die größte Summe Bargeld, die je in einer Ausstellung zu sehen war: Das Reykjavik Art Museum erwarb eine 150 Fotografien umfassende Sammlung des englischen Fotografen Brian Griffin, und knapp unterhalb des Polarkreises zeigte Ashkan Sahihi, dass Geld doch stinkt

„Gierige Graugänse schlucken Autoschlüssel“ – so lautet der Aufmacher der isländischen Tageszeitung Morgunbladid am Freitag, den 14. Januar 2005. „Es war wie im Film“, sagt Sigrún, die mit ihrem Baby nur mit Mühe einer Horde hungriger Wildgänse entfliehen konnte, die sie watschelnd verfolgten. „Sie wollten sogar ins Auto einsteigen und fraßen mein Kaugummi, das mir vor Schreck aus dem Mund fiel!“, so die geschockte Mutter.

Nur hundert Meter vom Ort des Geschehens entfernt wurde dann tags darauf im Reykjavik Art Museum eine Retrospektive des englischen Fotografen Brian Griffin eröffnet. Die neue Bürgermeisterin der Stadt, Steinunn Óskarsdóttir, hielt die Eröffnungsrede. Dass die konservative Zeitung die linke Stadtregierung durch die Story von den hungernden Wildgänsen in ein schlechtes Licht rücken wollte, glaubt sie nicht: „Wir wollen schon weiterfüttern, aber nicht mehr in der Stadt. Und nur dann, wenn die Vögel wegen einer festen Schneedecke nicht mehr in der Lage sind, an das Gras zu kommen.“

Die Kunstfreunde auf jeden Fall wurden gefüttert: Das Kunstmuseum ist durch den Ankauf des isländischen Multikonzerns Baugur an eine 150 Fotografien umfassende Sammlung des englischen Fotografen Brian Griffin gekommen. Dessen Blick schärfte sich durch seine Kindheit im Arbeitermilieu von Birmingham, durch den kalten Krieg und die Helden der Neuzeit: Geschäftsleute, Manager, Popstars und Strategen. Die Planer der virtuellen Welt: Metropolis meets Kraftwerk. Vor den verglasten Fenstern ihrer Etagen schauen sie in die Zukunft oder auf ein Druckwerk der Oologie, der Eierkunde.

Griffin porträtiert die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher mit Blauhelm und Iggy Pop als Rockikone – Letzteren ausnahmsweise farbig. Vornehmlich inszeniert er seine Motive in einer Welt der scharfen Schwarz-Weiß-Kontraste, so erhält sie Gestalt und Ausdruck. Es finden sich Bezüge zum expressionistischen deutschen Film, zu Realismus und Surrealismus. Was bei Caspar David Friedrich der Blick des einsamen Mannes auf das Meer ist, wird bei Griffin zum kühlen Blick des Planers auf die Stadt. „Influences“, so lautet der Titel der Show. Und es ist nicht nur der Einfluss des extrem kontrastreichen nordischen Lichts, was ihn hierher geführt hat, sondern auch die gemeinschaftliche Arbeit mit seiner Frau Brynja Sverrisdóttir, einer geborenen Isländerin.

Im Eingangsbereich hat die Künstlerin ein zauberhaftes Schmuckstück auf dunkle Holzkästen gelegt, in denen ihr Urgroßvater einst Heilpflanzen verwahrte. Brynjas Goldarmband zeigt die Symbole aller großen Religionen vereint. Eine Idee, die wahrscheinlich nur in einem Land entstehen kann, wo Engel und Elfen gleichberechtigt sind. Streng bewacht wird die Pretiose von einem Sicherheitsbeamten, alle Menschen sind eben doch nicht gleich.

Das wird 240 Kilometer weiter nördlich ebenfalls deutlich, in Akureyri, knapp unterhalb des Polarkreises. Dort hat Ashkan Sahihi aus New York die größte Summe Bargeld zusammengetragen, die je in einer Ausstellung zu sehen war: 100.000.000 Isländische Kronen in bar, umgerechnet 1,6 Millionen Dollar, bewacht von drei Sicherheitsbeamten. Gebrauchte und frische Scheine formieren sich in dicken Bündeln zu Türmen, liegen aneinander gereiht wie Dominosteine oder ruhen im Block unter Glashauben auf Sockeln. Vermerkt sind jeweils die Summen: 12 Millionen, 11 Millionen. „Dafür könnte man sich ein schönes Haus bauen“, sagt ein junger Fußballfan mit rotem Schal und zeigt ungerührt auf den 20-Millionen-Stapel. Diese Anschaulichkeit liegt durchaus im Sinne des Künstlers. „Das Bild von einer Million Dollar in Cash existiert. Ich wollte es sichtbar machen, materialisieren“, so der in Deutschland geborene Künstler.

Die Materialisierung der Idee entpuppte sich dennoch als durchaus kompliziertes Unterfangen. Versuche in den USA, England und Deutschland scheiterten: „Keiner hatte so viel Cash oder wollte das Risiko auf sich nehmen, diese Summe öffentlich zu zeigen.“ Warum es ausgerechnet hier klappte? Der Kurator des Museums, Hannes Sigurdsson, hat sicher daran einen entscheidenden Anteil gehabt. Seit er das Kunstmuseum leitet, gilt eine Reise nach Akureyri der Kunst wegen – vorher undenkbar – als durchaus überlegenswert. Durch enge Kontakte zur Bank und zu den Verantwortlichen der Stadt konnte er die Summe organisieren – in einem Land, wo 97 Prozent der Transaktionen virtuell, über Geld- und Kreditkarten, vollzogen werden.

Doch welche Überraschung: „Diese Riesensumme Banknoten riecht tatsächlich scheußlich, so als ob man jemand den Kopf ins Klo steckt“, bemerkt der Kurator, der für überforderte Besucher im Eingangsbereich ein Bettlager errichtet hat. Derweil entzündet der Künstler ein Räucherstäbchen und leitet meditative Klänge von Komponist Hilmar Örn Hilmarsson in die Räume. Ob er das Werk wohl verkauft? Man könnte die Arbeit von Sahihi als Kommentar auf den zeitgenössischen Kunstbetrieb verstehen, auf einflussreiche, reiche Künstlermacher wie Saatchie und Künstler wie Damien Hirst, deren effektsuchende und doch oft so unergiebige Kunst sich in der Pose des Widerstands präsentiert – mit erstaunlich großem Erfolg. „Nein, die Arbeit soll keine Kritik am Kunstmarkt sein“, wehrt Sahihi ab. Und doch hat er sie hier alle getoppt – mit der schieren Menge jener Droge, die alle Welt bewegt. Ashkan Sahihi hat am Ende der bewohnten Welt ein Meisterwerk geschaffen.

WOLFGANG MÜLLER

Brian Griffin im Reykjavik Art Museum bis 27. Februar; Ashkan Sahihi im Akureyri Art Museum, bis 6. März