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Archiv-Artikel

Nun ist deutscher Winter

betr.: „Die Grünen werden 25“, taz vom 13. 1. 05

Es war einmal vor 25 Jahren. Bleierne Zeit, deutscher Herbst. Die das Land regierten, waren erstarrt in der Macht und ohne jede Bewegung. Da kamen gar wackere und aufrechte Menschen, die riefen: „Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geliehen. Wir wollen Frieden! Wir wollen keine Atomfabriken! Das lebensvernichtende Wachstum muss ein Ende haben! Keiner soll arm sein, eine menschenwürdige Grundsicherung muss her! In Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen!“

Sie brachten die erstarrten Verhältnisse zum Tanzen. Die neu gegründete Grüne Partei rüttelte die Gesellschaft wach. Ihre Frechheit beeindruckte. „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“, sagte der damalige Fraktionssprecher Joschka Fischer im Bundestag. Fischer wurde Umweltminister in Hessen und schaffte es, die Fabrik für atomare Brennelemente in Hanau stilllegen zu lassen. Es war einmal.

Die deutsche Rüstungsindustrie boomt, deutsches Militär bombt, sogar ohne ein Mandat der UNO in Serbien. Alles Friedensengagement gilt nun dem Sitz im Sicherheitsrat.

Die Urananreicherung in Gronau und die Brennelementelager in Gorleben, in Ahaus und bei den AKW-Standorten werden vergrößert, sodass kein Zwang entsteht, die Atomkraftwerke abzuschalten. Zwanzig Jahre nach seinem Sieg in Hanau muss der gleiche Joschka Fischer, jetzt Außenminister, bedrängt werden, dieselbe stillgelegte Atomfabrik nicht für Siemens nach China zu verkaufen.

Die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer wird von der Partei nicht mehr unterstützt, als sie eine Gesundheitsreform zu Lasten der Pharmakonzerne machen will. Stattdessen haben wir heute die Praxisgebühr und vieles, was die Kassen nicht mehr zahlen.

Die menschenunwürdige Sozialhilfe wird nicht abgeschafft, sondern ausgeweitet auf viele Arbeitslose und umbenannt in das grüne Wort Grundsicherung, mit Segen der Grünen. Alle strampeln um eine, um ihre Stelle. Dabei gibt’s kaum Arbeitsplätze, nur Ich-AGs. Und diese kriegen nicht mal einen Dispo, wegen Basel II. Den Marx vergessen, nicht mal was von Keynes gehört. Nichts zählt bei Bütikofers außer Wachstum, außer der Schimäre vom Wachstum. Da ist kein Platz mehr für Kinder, an die wir diese Welt weitergeben können. Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau geht sowieso nur, wenn überhaupt, unter Verzicht auf Kinder. Aber wenn wir die Welt nicht lebenswert erhalten, brauchen wir auch keine Kinder, an die wir sie weitergeben.

Na gut, von einer anderen Partei hätten wir nicht erwartet, was wir hier nicht erfüllt sehen. Aber das Unbehagen an der Parteiendemokratie ist heute ein Unbehagen an den Grünen. Die waren angetreten, das aufzubrechen, was lähmt. Bleierne Zeit. Nun ist deutscher Winter. ARNOLD VOSKAMP, Münster

Ihr geht in eurem Brennpunkt über die 25-jährige Geschichte der Grünen sehr differenziert, aber schonungslos zur Sache. Dafür kann man euch gar nicht genug danken. Eure Ausführungen bestärken bestimmt so manche LeserIn in der Gewissheit, jahrelang die falsche Partei, aber zumindest bislang die richtige Zeitung gewählt zu haben. Den Grünen wünsche ich zum Geburtstag die Wiederbelebung ihrer einstigen Widerspenstigkeit, ebenso wie die damit verbundene Freude am Einspruch. Das wiederum würde eine Rückkehr in die Opposition bedeuten, aber keine in die Bedeutungslosigkeit. Wie schon Frau Beer mal verlauten ließ (im Zusammenhang mit ihrer Vermählung mit einem hochrangigen Funktionsträger bei der Bundeswehr): „Sag niemals Nie!“ DORIS KRAMER, Köln

Als Grüner der ersten Stunden, der in der Gründungsphase so viel Idealismus für diese notwendige Sache geopfert hat, hatte auch ich mir damals mehr von der Sache versprochen; trotzdem würde ich alles wieder genauso machen. Wie realistisch unsere damaligen Träume waren, wage ich als kleiner Schlucker mit Volksschulbildung nicht zu beurteilen. Aber würde ein Turnschuhminister Joschka mit Nietenhose und Buschhemd bekleidet heute mehr für unsere immer noch gerechte Sache erreichen?

Die taz mag die Realo-Grünen noch so sehr kritisieren, aber hat nicht auch die Leib- und Magenzeitung der Bewegung sich sehr an das Machbare angepasst? HORST GRZYWACZEWSKI, Iserlohn

betr.: „Ökologie – Thema unter vielen“, taz vom 13. 1. 05

Wenn Matthias Urbach schreibt: „Anders als die Friedensbewegung schaffte es die Antiatombewegung selbst zu ihren Hochzeiten nie, hunderttausende Demonstranten in die Hauptstadt zu locken“, dann zeigt sich darin eine für ein „Kind der Antiatombewegung“ überraschende Geschichtslosigkeit. Es gelang der Antiatombewegung durchaus – im Oktober 1979 in Bonn. Damals Bundeshauptstadt, schon vergessen? PAULA PEETERS, Viersen