: Von pfiffigen Philosophen
DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER
Richtiges Denken ist (im Kern) optimistisches Denken. Trendforscher Matthias Horx
Positiv denken also – wieder einmal. Es gibt Leute, die ernsthaft die Meinung vertreten, dass die schlechte Laune in unserem Land auf Defekte in den Köpfen seiner Bewohner zurückzuführen sei. Auf eine falsche Weichenstellung in den Hirnwindungen, die der Betroffene durch selbsthypnotisches Gemurmel und rituell herbeigeführte Begeisterungsschübe korrigieren kann. Zentrale Probleme der modernen Subjektivität wie Selbstentfremdung und Ich-Verlust würden sich, so gesehen, in Wohlgefallen auflösen, wenn wir nur die Coaching-Handbücher aufmerksamer studierten. Mehr an sich denken, Körper und Seele entspannen: alles für das „authentische Ich“. So oder ähnlich lauten die Betriebsanleitungen für unsere Genesung seit Jahrzehnten.
Die Handbücher jedenfalls hatten Erfolg. Aus dem Wellness-Boom wurde das Selfness-Fieber, und in der Spaßgesellschaft hieß es „fit for fun“. Irgendwie schmeckte die Sprache immer nach Plastik, und die Annoncen der Bodybuilding-Studios stanken nach Schweiß. Doch mit der Systemkonfrontation schien auch die Tragik der Geschichte überwunden, die New Economy versprach einen auf Dauerbetrieb gestellten Swing. Mit dem Aufbruch in die Globalisierung sollte die autosuggestive Leibes- und Seelenertüchtigung der Mittelschichten einhergehen – so dachten es sich jedenfalls die Veranstalter. Die Klientel stand Schlange und war wild entschlossen, jeden Trend mitzumachen, bis zum finanziellen, körperlichen oder psychischen Ruin. Trendforscher sorgten für den theoretischen Überbau.
Einer der umtriebigsten unter ihnen heißt (und hieß schon damals) Matthias Horx, und der hat jetzt einen neuen Trend ausgerufen, den er „Mindness“ nennt: „Schöner denken lernen“ sollen wir, denn, so sagt Horx, „Körper und Seele können nicht ins Gleichgewicht kommen, wenn der Geist nicht ebenfalls seine Balance erringt.“ Das hört sich teils nach Turnvater Jahn, teils ein bisschen altgriechisch an – und so nennt Horx den Homunculus, den er konstruieren will, wagemutig radebrechend das „autotelische Individuum“. Die neuen Propheten haben aus dem Debakel ihrer gescheiterten Vorgänger nichts gelernt, auch sie basteln wieder auf Teufel komm raus an einem neuen Menschen herum.
Horx ist ein milder Therapeut. Er redet sanft mit uns, als seien wir zur Einsicht bereite Verrückte, denen man nur vorbuchstabieren muss, dass sie verrückt sind, um sie wieder zurechtzurücken. Wir alle haben die Chance, uns zum autotelischen Individuum zu mausern, wenn wir a) uns nicht mehr auf „paranoide Gedanken“ einlassen, b) „negatives, ideologisches, geschlossenes Gedankengut meiden“ und c) keine „unsinnigen kreisförmigen Gespräche“ mehr führen. Horx nennt das „Gedanken-Diät“. Sie wurde von Edward de Bono erfunden, einem Philosophen und Wirtschaftsberater, der das Anleitungsbuch „How to Have a Beautiful Mind“ geschrieben hat.
Alle pfiffigen Philosophen sind heute praktischerweise auch Wirtschaftsberater. Umgekehrt ist ein Wirtschaftsberater gut beraten, wenn er sich als Philosoph zu erkennen gibt. Philosophie plus Wirtschaftsberatung ergeben einen Synergieeffekt, und wenn daraus ein Anleitungsbuch entspringt, ist auch der geschäftliche Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Das erklärt den Siegeszug einer neuen Schundliteratur, die aus lauter Titeln wie „How to Have a Beautiful Mind“ besteht. Selbst ernannte Therapeuten probieren die Anleitungsbücher für astronomische Honorare an ausgelaugten Managern aus. Horx erfindet noch ein paar Vokabeln wie „evolutionäres Denken“, „Multivalenz“ und „Empowerment“ hinzu – und fertig ist der neue Trend.
Zum Hintergrund gehört ein zunehmend dem turbokapitalistischen Wirbel ausgelieferter Wissenschaftsbetrieb, der die Ausbildung auch im Bereich der Gesellschafts- und Geisteswissenschaften immer mehr auf unmittelbare Wissensanwendung, „Praxisnähe“ und Managernachwuchs orientiert. Priorität beansprucht, trotz einer mittlerweile trostlosen Situation auf dem Arbeitsmarkt, der schnelle Output eines akademisch nur halb qualifizierten, dafür auf Karrieredenken gedrillten Personals, dessen Qualität gegenwärtig mit der flächendeckenden Einführung von Bachelor-Studiengängen weiter heruntergefahren wird. Am Rande der Szene wuseln lustlos Politologen, Soziologen, Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler herum – tief gekränkt, weil sie ahnen, dass nicht einmal mehr für ihre Anpassungsbereitschaft Bedarf besteht. Somit sind Leute gefragt, die das Desaster mit performativer Dynamik und therapeutischer Unterhaltungsmusik verschönern. Hier finden die wissenschaftlichen Grauzonen mit ihren Schnelldenkern und Trendforschern ihren Ort.
Was Horx zu bieten hat, ist pure Ideologie, in praktischer Einwegverpackung verabreicht und für die unmittelbare Anwendung zwischen Morgengymnastik und Müsli konzipiert. Etwas Kampfsport wird auch eingeübt, nicht allzu auffällig, doch immerhin so deutlich, dass die Stoßrichtung nicht zu übersehen ist: Mit den Vorbetern des neokonservativen Wirtschaftsliberalismus, die Horx natürlich nicht nennt – gegen die Altlasten von Achtundsechzig, die er auch nicht benennt, aber meint, wenn er gegen „Klischee-Denken“, „Vergangenheitsdenken“, „Romantizismus“, „ökologischen Naturglauben“ und „die Herrschaft kulturpessimistischer Eliten“ zu Felde zieht. Zwischen Atemtherapie und Yoga soll endlich das 20. Jahrhundert abgeräumt werden: „ein Zeitalter der Ideologien“, so Horx, „von denen der Marxismus die stärkste war“. Auch ein Zukunftsforscher leichenfleddert letztlich in der Vergangenheit, wenn er seine Ressentiments abarbeiten will.
Horx hofft auf Forschungsgelder, so viel ist klar. Neuromedizin sei wissenschaftspolitisch „der neue Renner“, und von diesem Boom möchte auch unser „Mindness“-Prophet profitieren. Sein Problem ist freilich, dass er alles durcheinander wirft: Intelligenzsteigerung und Eliteförderung, „bewusste Lebensgestaltung“ und „postmaterielle Sehnsüchte“, „spirituelle Sinnerfüllung“, Yoga, Psycho-Coaching und Kompetenztraining poltern in seiner Fastfood-Sprache kunterbunt durcheinander.
Leute wie dieser Trendforscher sind nicht die Lösung, sondern Indikator eines in der Tat gravierenden Problems. Die Agenturen des Neoliberalismus verfügen über keine Theorie. Sie brauchen auch keine, weil der Laden von selbst läuft. Bedenklicher ist: Es fehlt an Zielen, an Perspektiven, für die gesellschaftliche Kollektive über Einzel- und Gruppenegoismen hinaus zu gewinnen wären. Kurzfristig und kurzatmig müssen die neuen Scharlatane der jeweils aktuellen Wellness-, Selfness- oder Mindness-Märkte einspringen. Hektisch basteln sie an einem Kunstmenschen, den es in der gesellschaftlichen Realität niemals geben wird, und bürden denen, die auf sie hereinfallen, noch die Kosten auf. Sie wursteln in einem virtuellen Bereich. Gerade mit ihren antiideologischen Ressentiments sind sie die perfekten Ideologen unserer Zeit.