: Stunde der Wahrheit für Kongo
Der Zeitplan für freie Wahlen ist ins Rutschen geraten, es regt sich massiver Protest. Viel Zeit, um den Friedensprozess doch noch zu stabilisieren, bleibt nicht mehr
BERLIN taz ■ Langsam, aber sicher neigt sich Kongos Friedensprozess dem Ende zu. Es könnte ein friedliches Ende werden – oder ein gewaltsames. Denn je näher der im geltenden Friedensabkommen vereinbarte Termin des 30. Juni 2005 rückt, an dem die Macht im Land von der jetzigen Allparteienregierung aus einstigen Kriegsführern an eine gewählte Regierung übergehen soll, desto offensichtlicher ist dieser Termin nicht mehr zu halten und desto stärker werden die Proteste gegen eine mögliche Verschiebung. Über Konsequenzen daraus trauen sich die internationalen Begleiter des Friedensprozesses kaum nachzudenken: eine direkte UN-Treuhandschaft, um doch noch schnelle Wahlen vorzubereiten – oder die Neuauflage des Krieges und der Zusammenbruch der größten UN-Mission der Welt.
Das Hauptproblem sind die Wahlen selbst. In einem Land von der Größe Westeuropas ohne nennenswerte Infrastruktur, von dessen knapp 60 Millionen jeder Zwanzigste vertrieben ist, wären freie und faire Wahlen selbst unter stabilen Bedingungen eine Herausforderung. In der Demokratischen Republik Kongo von heute sind sie so gut wie unmöglich: Jahrelanger Krieg hat weite Landstriche verwüstet, die schlimmsten Kriegsgebiete bleiben umkämpft, eine funktionierende Staatsverwaltung gibt es nicht, die Regierung stolpert von Krise zu Krise. Wahlgesetze, Parteiengesetze, eine Volkszählung, ein Wahlregister – all das kennt Kongo heute nicht.
Also wären Wahlen selbst bis Ende 2005 ein Wunder, und bis Mitte 2005 sind sie eine Utopie. Ein genauer, verbindlicher Zeitplan soll nächste Woche auf einem Krisengipfel in Kinshasa erarbeitet werden mit Regierung, Parlament, Wahlkommission, UNO und vielleicht sogar Südafrikas Präsident Thabo Mbeki. Wenn das gelingt, hätte Kongo eine neue Atempause.
Regierung ist gelähmt
Doch Luft holen kann das Land erst, wenn dann auch Kongos Staat aus seiner Paralyse herausfindet. Zwischen Präsident Joseph Kabila und seinen vier rivalisierenden Vizepräsidenten läuft nichts. Der mächtigste Vizepräsident, Jean-Pierre Bemba von der Rebellenbewegung MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung), boykottiert die Regierung, um die Rücknahme seines wegen Korruption geschassten Günstlings José Endundu in das Kabinett zu erzwingen. So steht die Regierung still. Ende Januar will die MLC ganz austreten. Das wäre viel gravierender als der kurzzeitige Austritt der RCD-Rebellion (Kongolesische Sammlung für Demokratie) im vergangenen Sommer: Die RCD hat ihre Basis im fernen Ostkongo; die MLC vertritt die Heimat des verstorbenen Diktators Mobutu und vereint dessen finanziell noch sehr mächtigen Erben.
Auch im Falle einer politischen Einigung aber bleibt das Problem der Wahlvorbereitung. Und wenn das nicht ganz schnell gelöst wird, ist endgültig klar, dass die bestehenden Institutionen des Kongo nicht in der Lage sind, den Friedensprozess zu einem regulären und friedlichen Abschluss zu bringen. Dann ist spätestens ab Ende Juni sein gewaltsames Ende in Sicht.
Denn das wirklich Neue in der jetzigen Situation sind nicht die Dauerkrisen in Kinshasa oder die Dauerkämpfe im Ostkongo. Es sind die zunehmend heftigen und selbstbewussten Proteste der Bevölkerung gegen jede Wahlverschiebung. Mit Demonstrationen und Generalstreiks haben die nicht in der Regierung vertretenen Oppositionsparteien einen inneren Druck erzeugt, den es so bisher nicht gab. Ab 30. Juni, so die Losung, ist die Allparteienregierung illegitim und die Macht gehört dem Volk.
Das geltende Friedensabkommen sieht zwar vor, dass die laufende Übergangsperiode bis zu freien Wahlen um zweimal sechs Monate verlängert werden kann – also bis Juni 2006. Als technokratischer Akt würde dies jedoch jetzt heftigen Widerstand hervorrufen. Wer den Friedensprozess trotz Wahlverschiebung retten will, muss die Protestbewegung in die Wahlvorbereitung einbinden. So schafft die jetzige Krise etwas, was in den Kriegen der letzten Jahre fehlte: Das Schicksal des Landes liegt nicht mehr nur in den Händen von Warlords, sondern auch in denen des Volkes. DOMINIC JOHNSON