Bochumer Forscher entdecken das Panionion

Der Bochumer Archäologe Hans Lohmann entdeckt in der Westtürkei das Zentralheiligtum der ionischen Griechen. Ein Großteil der Kultstätte ist bereits Schatzsuchern zum Opfer gefallen: „Wir müssen dieses hochbedeutende Kulturgut vor dem Zugriff vandalisierender Halunken schützen“

Vor den Archäologen kamen die Schatzsucher. Nur noch ein Haufen Schutt erwartete Professor Hans Lohmann und seine Mitarbeiter von der Ruhr-Uni Bochum als sie vor drei Jahren im westtürkischen Mykale-Gebirge, rund 100 Kilometer südlich der Hafenstadt Izmir, eine sensationelle Entdeckung machten. Den Schutthaufen identifizierten sie als antikes Großheiligtum – das so genannte Panionion.

Die zentrale Kultstätte aller ionischen, also kleinasiatischen Griechen war bis dahin zwar aus historischen Quellen bekannt, wo sie genau lag, wusste man jedoch nicht. Schatzsucher waren da offenbar schon weiter als die Wissenschaft. Mit schwerem Gerät, etwa einer Planierraupe und Metalldetektoren, hatten sie sich an die Arbeit gemacht. „Denen geht es nur ums Gold“, ist Lohmann entsetzt über die vorgefundenen Verwüstungen, „diese Deppen haben sogar Säulentrommeln zerschlagen, weil sie dachten, dass darin Schätze liegen.“

Die Bochumer Archäologen suchen ganz andere Schätze. Ihnen geht es um den Erkenntnisgewinn zu einer der bewegtesten Epochen in der griechischen Geschichte. Zwölf ionische Städte, darunter so bedeutende wie Milet, Ephesos und Priene, waren in archaischer Zeit im „Panionischen Bund“ vereint und begingen in ihrem Heiligtum Panionion den Poseidon-Kult. Gebaut im 6. Jahrhundert v.Chr. war das Panionion nicht nur Kultstätte, sondern auch Hauptquartier des mächtigsten Militärbündnisses der Welt.

Damals war das kleinasiatische Bündnis die letzte Bastion des griechischen Kulturraums gegen die Bedrohung des immer mächtiger werdenden Perserreichs. Hier brachten die Ionier Poseidon ein Opfer, bei dem ein Stier von jungen Männern zum Altar gezerrt wurde. Erste Hinweise auf den Kult finden sich bereits bei Homer: In der Ilias erwähnt der Dichter zwar das Stieropfer, nicht aber das Panionion oder den Bund der Ionier, der offenbar erst 100 Jahre nach Homers Tod gegründet wurde.

Die griechischen Historiker Herodot und Diodor brachten Lohmann auf die richtige Fährte. Sie erwähnen, dass das Panionion ursprünglich an „einsamer Stätte“ gelegen habe, und auch das Mykale-Gebirge ist genannt. Die Entdeckungen durch Lohmann und sein Team bestätigen dies nun: Im Bereich des Hauptkammes der Mykale, auf „Mykales luftigem Scheitel“ wie Homer schreibt, stießen sie überraschend in 750 Metern Höhe auf die ausgedehnten Ruinen einer befestigten Höhensiedlung. Darin fanden sie die Reste eines stark zerstörten ionischen Tempels der Zeit um 540 v.Chr. Die bis zu drei Meter breiten, stark verfallenen Wehrmauern bilden ein riesiges Dreieck, dessen Spitze im Norden liegt. „Eine einsamere Stätte ist kaum vorstellbar“, findet Lohmann.

Wie aber kommt einer auf die Idee, einen großen Schutthaufen, aus dem ein paar Marmorteile herausragen, zu einem Großheiligtum zu erklären? Da ist zunächst einmal die schiere Größe des Areals: 38 Meter in der Länge und 18 Meter in der Breite. Archäologen horchen bei diesen Maßen auf: Hier könnte ein Tempel von einhundert griechischen Fuß Länge, ein so genannter Hekatompedos, Platz gefunden haben. Und anders als monumental kann ein solches Bauwerk kaum gewesen sein, war das ionische Griechenland in archaischer Zeit doch nicht nur eine Militärmacht, sondern zugleich auch kulturell führend.

Hier blühen Kunst und Wissenschaft gleichermaßen, der Fernhandel floriert. Mit den Waren aus dem Orient kommen neue Inspirationen aus Babylon und Ägypten. Die philosophischen Fundamente für das griechische Altertum entstehen. Thales wirkt in Kleinasien, ebenso die Universalgelehrten Anaximander und Anaximenes, Heraklit stammt von hier.

Die gemachten Funde lassen bereits die Blüte der damaligen Kultur erahnen. Allen voran ein wunderschöner archaischer Stirnziegel mit der Darstellung eines Löwen, der wohl vom Dachrand des Tempels stammt. Die Säulen waren nach den erhaltenen Fragmenten zu urteilen etwa sechs Meter hoch. Ein imposantes, reich geschmücktes Gebäude muss dieser Tempel gewesen sein, ist sich Lohmann sicher. „Wir werden hier noch Großartiges finden“, prophezeit der Bochumer Archäologe. Wenn ihm nicht die Raubgräber zuvor kommen.

Da es unmöglich ist, diese hochbedeutende archäologische Stätte in der Bergeinsamkeit wirkungsvoll zu schützen, ist jetzt eine Notgrabung geplant. Lohmann: „Wir müssen dieses hochbedeutende Kulturgut vor dem Zugriff vandalisierender Halunken schützen, die nur auf Edelmetall aus sind, und anderes rücksichtslos zerschlagen.“

HOLGER ELFES