: Ohnmächte, Racheschwüre
Mit dem „Raub der Sabinerinnen“ bohrt sich das neue Waldau-Team zum härtesten Kern des deutschen Humortheaters vor
Künstlerisch ins Nichts, finanziell in den Bankrott manövriert. Ordentlich durchlüften. Und jetzt wieder durchstarten mit neuem Leitungsteam (Susanne und Klaus Marth), neuem Namen (Marth’s im Waldau-Theater), ohne Subventionen und mit neuem Logo (kraftstrotzender Elefant). Leidenschaftliche Aufbruchstimmung. Ein Neuanfang! Die erste Abendpremiere des neuen Teams. „Viel Engagement und Herzblut“, verspricht der Programmflyer. Dann tritt Klaus Marth vor den Vorhang und erträumt sich einen „bumsdicke vollen Saal“. Allein: Die Worte verhallen im bestenfalls halb vollen Parkett.
Alle Emphase des Abends scheint Marth als Regisseur seiner Mimin Petra Feilen zugedacht zu haben. In der Dienstmagd-Rolle der Eröffnungspremiere darf sie bei der Aussicht auf einen Abend im Parkett recht quietschfidel „Deadda!“ (sächsisch für „Theater“) ausrufen, darf hüpfen und tanzen und die Augen derart überzogen verdrehen, als müsste sie sich für alle anderen mitfreuen und ihren Elan verschenken. Schließlich wird der saftig populäre „Raub der Sabinerinnen“ gegeben. Seit der Uraufführung 1884 in Stettin bildet der Schwank von Franz und Paul v. Schönthan den härtesten Kern des deutschen Humortheaters.
Das Stück scheint aber auch wie geschaffen für einen Neuanfang. Ist es doch als Liebeserklärung zu lesen an den verführerischen Zauber- und Verzauberungsbetrieb. Es stürzen Töchter, Schwiegersöhne, Ehefrauen, Dienstmädchen in Ohnmächte, Racheschwüre und Lügenstrudel, nur um klammheimlich ins Theater abzischen zu können. Und der säggsch babbelnde Intendant Emanuel Striese war, ist und bleibt eine Paraderolle für die Aufbruchstimmung. Er beschwört sämtliche Möglichkeiten des Metiers: von der Katastrophe zur Sternstunde, von der peinlichen Banalität bis zur seligsten Herzensergießung. Wir werden aufs feinste und fein deftig daran erinnert, dass unsere Schaubühne immer noch sehr viel mit Hanswurst und Zirkus zu tun hat.
Schade nur, dass Martin Gresselmeyer den Striese als schlichte Komödienfigur gibt. Gerade als Verweis auf den engagierten Neuanfang sollte man solche Fanatiker doch liebevoller und ernster nehmen, schließlich opfern sie ihr gesamtes Leben der Bühne – und das auch noch erfolglos. Diese Tragik eines mit heißem Herzen über seine künstlerischen Möglichkeiten hinausschießenden Charakters muss zumindest mitschwingen – bei aller Komik. Aber auch Strieses Gegenüber, Oberstudienrat Gollwitz, ist nicht nur ein Witz, sondern ebenso Träger der Erkenntnis, dass Schwänken die Tragödie ebenso wie die Komödie innewohnt. Deren Plot: Gollwitz‘ „Jugendsünde“, ein Römerdrama in Versen, soll von Strieses Truppe uraufgeführt werden, weil diese sich so einen „bumsdicke vollen“ Saal verspricht. Aber anstatt aus dieser Situation einen Menschen zwischen steif-professoraler Korrektheit und jugendlichem Feuer des verhinderten Dramatikers zu entwickeln, einen Charakter aus Größenwahn, blankem Entsetzen und der tiefen Verzweiflung des Scheiterns zu zeigen, verstolpert Reiner Böning den Gollwitz nur fahrig ins Lächerliche.
„Der Raub der Sabinerinnen“ ist ein Werk, das, beherzt gespielt, wie von selbst läuft. Aber die Inszenierung von Klaus Marth ist selten auf der Höhe des Stücks, meist döst sie ihm kleinlaut und mutlos hinterher. Tempo, Witz, Esprit, pfiffige Regie-Ideen, ironisch überzogener Bühnenbildplüsch: Fehlanzeige.
Bis Isolde Beilé im 3. Akt als Strieses Gattin auftritt. Wie eine Erlösung! Plötzlich sind zu erleben: exzellente Sprachbehandlung, Ausstrahlung, Präzision. Beilé profiliert ihre Rolle als lebendiges, also zwiespältiges Wesen: zickig, humorvoll, rührend den Gatten liebend, anmaßend begeistert von der eigenen Bühnenkunst. Eine Dienerin des Theaters! Nach ihrem Abtritt – staubt die Aufführung wieder zu. Vielleicht muss sich das neue Team in Walle, nicht zuletzt angesichts aller belastenden Start-Schwierigkeiten (siehe taz v. 14.1.) erst einspielen. Das alte Waldau-Publikum machte freundlich applaudierend Mut. Jens Fischer
Nächste Vorstellungen: 21.1. (20 Uhr), 22.1. (19 Uhr), 23. 1. (15 Uhr), 25.1. (20 Uhr)