: Der Schläger schwört auf Mussolini
Angstzonen, in denen MigrantInnen und Linksalternative Gewalt von Rechtsextremen befürchten müssen, gibt es viele. Eine ist der S-Bahnhof Schöneweide. Nun wehren sich einzelne Anwohner – mit Klagen vor Gericht oder an einem runden Tisch
VON FELIX LEE
Weder war es dunkel oder menschenleer, noch gab es sonst irgendwelche Angst einflößenden Ecken. Die 17-jährige Margrit* und ihr Kreuzberger Freund Alex* saßen am Nachmittag des 14. Februar 2004 an der Bushaltestelle am S-Bahnhof Schöneweide und warteten auf den 265er. Und dann standen plötzlich die beiden Ricos vor ihnen. „Heil Hitler“, begrüßte Rico B. die Punker und fragte mit süffisantem Unterton, ob sie überhaupt Deutsche seien. Er sei ja keiner, sondern Italiener, und überhaupt „scheiße“ er auf Hitler. Vielmehr schwöre er auf Mussolini.
Zunächst hielt er Alex seine tätowierte und mit Goldringen versehene Faust nur ins Gesicht. Dann drohte er, wenn er wolle, könne er sie jederzeit erschießen. Dazu habe er aber momentan keine Lust. Und überhaupt, wie sie bloß aussähen, mit den bunten Haaren und der Nietenjacke. Als der Bus kam, schlug Rico B. dann doch noch zu. Mit der beringten Faust mitten in Alex’ Gesicht. Zwei Tritte trafen Alex noch ins Gesäß, bevor er in den Bus stolpern konnte.
Es ist nicht das erste Mal, dass am S-Bahnhof Schöneweide vor allem linke Jugendliche von Neonazis angepöbelt werden. „Wir hatten Zeiten, da haben die Faschos jede Woche zugeschlagen“, erzählt Margrit. Schon zu DDR-Zeiten gab es in Johannisthal, heute Bezirk Treptow-Köpenick, rechtsextreme Strukturen. 1994 tauchte die Treptower Kameradschaft auf, der es gelang, eine bis heute aktive rechtsextreme Jugendkultur aufzubauen. Seitdem ist der S-Bahnhof Schöneweide ein beliebter Treffpunkt der rechten Szene. In dieser Ecke Berlins wohnen viele Anhänger der Kameradschaft BASO sowie zahlreiche Kader der NPD, und hier treffen sich auch die unorganisierten Neonazis der Stadt, um zu überregionalen Aufmärschen aufzubrechen.
Fast immer mit dabei sind auch die beiden Ricos. Margrit kennt sie. So wie sie die meisten Faschos in Johannisthal kennt. Sie weiß, wo Rico S. wohnt. Aber sie sieht es nicht ein, verunsichert durch den Kiez zu laufen, immer mit der Angst, im nächsten Moment von den Faschos vermöbelt zu werden. Deswegen hat sie geklagt. Mit Erfolg. Rico B. wurde bereits vor einem halben Jahr zu mehreren Monaten Haft verurteilt. Mitläufer Rico S. bekam am Montag wegen versuchter Körperverletzung 200 Euro Geldstrafe aufgebrummt.
Nun sei es etwas ruhiger geworden, erzählt Margrit. Noch vor einem Jahr habe sie in der Regel über den Hintereingang den Bahnhof verlassen oder sei gleich eine Station früher ausgestiegen. „Ruhiger?“, fragt ihre Freundin Sine und erinnert an den rechten Übergriff auf den PDS-Bezirksverordneten Philip Wohlfeil. Das war im Dezember.
Von „Angstzonen“ spricht Catharina Schmalstieg von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ (MBR). Orte, die aus Angst vor rechtsextremen Übergriffen gemieden werden. Seit mehr als drei Jahren ist die MBR in Berlin aktiv und berät Schulen, Vereine, Bezirksverwaltungen und engagierte Einzelpersonen beim Umgang mit Rechtsextremismus.
Rechte Alltagsdominanz
Anfang der 90er-Jahre riefen Neonazis dazu auf, „befreite Zonen“ zu schaffen, Gebiete, in denen Ausländer und Andersdenkende nicht geduldet werden. Dazu sei es zum Glück noch nirgends gekommen, so Schmalstieg. Dennoch gebe es in einigen Gebieten durchaus „Vorformen rechtsextremer Alltagsdominanz“. Orte, an denen Neonazis pöbeln können, ohne dass Passanten einschreiten.
Und die finden sich eben auch in Berlin. Das Hellersdorfer Einkaufszentrum Helle Mitte zum Beispiel oder der dortige Bürgerpark. Der Cecilienplatz in der Nähe des U-Bahnhofs Kaulsdorf oder die Jugendeinrichtung „Erlebnistreff Eulenspiegel“ in Marzahn. In Treptow-Köpenick sind es Orte in Altglienicke oder auch der Mandrellaplatz – in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bundeszentrale der NPD. Gerade viel frequentierte Orte, die von potenziellen Opfern nicht gemieden werden können, gehören häufig zu diesen Angstzonen, sagt Schmalstieg. Bahnhöfe, Supermärkte und zentrale Plätze, zählt sie auf. Jugendtreffs, Kneipen und selbst türkische Imbissbuden, ergänzt die Leiterin der MBR, Bianca Klose. Sie spricht von „Dönernazis“. An einem Tag holen sie sich einen Döner, am anderen hauen sie dem Imbissbetreiber eins über den Schädel.
Angstzonen sind nicht immer eindeutig und werden subjektiv erfahren. Das heißt, für die Betroffenen ist die Bedrohung real, während der Großteil der Passanten sie nicht einmal wahrnimmt. Zum einen verlagern sie sich witterungsbedingt oder je nach Tageszeit. Zum anderen gehören dazu auch Orte, die nicht den klassischen Kriterien von Nazi-Treffpunkten entsprechen. Der Eingang des Einkaufszentrums Schönhäuser Allee Arkaden mitten im schicken Prenzlauer Berg zum Beispiel. Zu rechtsextrem motivierter Gewalt muss es gar nicht gekommen sein, heißt es in einem Informationsblatt der MBR. Es genüge ein provokantes Auftreten auf zentralen Plätzen und das Wissen darum, dass sich hier in der Gegend viele Neonazis regelmäßig treffen.
Initiativen der Anwohner
Rund um den S-Bahnhof Schöneweide gebe es mindestens sieben solcher Treffpunkte, zählt Margrit auf: Das „Stüble“, das Vereinslokal „Brücke 7“ oder die „Spreehexe“. Letztere musste nach einer Razzia gegen rechts erst jüngst schließen. Dabei sei es egal, ob der Kneipier selbst ein Rechter ist oder nicht, fügt ihre Freundin Sine hinzu: Die Wirtin des „Eisenbahners“ sei mit einem Ausländer liiert. Trotzdem kommen auch zu ihr die Faschos.
Allein mit polizeilichen Mitteln lässt sich das Problem nicht in den Griff bekommen, sagt MBR-Leiterin Bianca Klose. Zumal die Sicherheitskräfte vor Ort häufig von einem rechtsextremen Problem gar nichts wissen wollen. Um Angstzonen wieder für potenzielle Opfer von Rechtsextremen zugänglich zu machen, plädiert die MBR für einen offensiven Umgang. Konkret heißt das: existierende Initiativen vor Ort, die sich gegen rechts engagieren, tatkräftig zu unterstützen und vor allem auch mit den Anwohnern und den Geschäftstreibenden ins Gespräch zu kommen.
In Johannisthal berät die MBR Initiativen, Betroffene, Vertreter der Bezirksverwaltung und Geschäftstreibende, die sich zu einem runden Tisch zusammengefunden haben. In regelmäßigen Abständen treffen sie sich, um zu überlegen, was gegen die rechte Gewalt getan werden kann.
Es wurden aber auch schon Vorschläge diskutiert – etwa das Bahnhofsgebäude und die umliegenden Straßen besser auszuleuchten. Das aber wurde von den mit anwesenden Opfern abgelehnt. „Dann haben wir ja gar keine Versteckmöglichkeiten mehr“, erklärt der 17-jährige Max, der selbst vor zwei Jahren von einer Gruppe von Neonazis krankenhausreif geschlagen wurde.
Trotzdem hält er den runden Tisch für eine gute Sache: „Immerhin ist bei den Anwohnern angekommen, dass Johannisthal ein rechtes Problem hat.“
* Namen geändert