Eine Versöhnung mit Heino ist möglich

Seit fünfzig Jahren steht der Sänger Heino auf der Bühne und schmettert deutsches Liedgut. Man kann ihn immer noch hassen dafür. Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, endlich Frieden zu schließen

VON JAN FEDDERSEN

Anfang der Woche, zu Gast bei „Beckmann“, hat er ein schönes Zeugnis von gefühlter, aber, was die lexikalisch fassbaren Fakten anbetrifft, falscher Erinnerung abgelegt. Da erzählte er, vor 50 Jahren, just die Prüfung zum Bäckergesellen bestanden, habe ihn sein Meister gebeten, zu singen. Abends, auf einem Fest. Er habe doch so eine schöne Stimme. Na, da ließ sich Heinz-Georg Kramm nicht lange bitten. Singen tat er sowieso gern, auf der Bühne stehen wollte er auch.

Ein gewisses Timbre

Und so erhielt der Mann, der als Heino all die vielen Jahrzehnte danach schon per Künstlername zum Markenartikel der Musikindustrie wurde, die erste Chance. 2.500 Leute im Düsseldorfer Arbeiterviertel Oberbilk, wo nach dem Zweiten Weltkrieg viele Vertriebene sesshaft werden mussten, jubelten ihm zu, vor Rührung zunächst, dann begeistert. Da schien einer nicht nur zu interpretieren, sondern aus eigener Seele etwas zu sagen. Heino sang, ja, vom Zeitgeist, vom bitteren, unverstandenen Phantomschmerz eines besiegten, zäh das Wirtschaftswunder nutzenden Volkes: „Heimweh“. „Dort, wo die Blumen blüh’n,/dort wo die Täler grün,/dort war ich einmal zu Hause./Wo ich die Liebste fand, da liegt mein Heimatland,/wie lang bin ich noch allein.“ Das war gesungener Deutschschmerz in Cinemascope. Vorgetragen hat er das, so will es die Überlieferung, mit dieser Stimme, die man gewöhnlich sonor nennt, tauglich, sich auch ohne Mikrofon durchzusetzen. Und schließlich hatte sie, das im Unterschied zur gewöhnlichen Grölerei im Bierzelt oder bei Schützenfesten, ein gewisses Timbre, versehen mit einer gewissen Brüchigkeit, in sich ein verschlepptes Schluchzen, das die sentimentale Klage, das Sehnsuchtspathos der Lieder, umso glaubwürdiger untermalte.

Tatsächlich konnte Heino dieses Lied nicht 1955 gesungen haben, es war die deutsche Coverversion von Dean Martins „Memories are made of this“ – und in der deutschen Fassung unter dem Titel „Heimweh“ für Freddy Quinn war es im Spätsommer 1956 die erste Nummer eins in den Hitparaden. Aber Heino fühlte das neulich schon richtig: Er sang ja wirklich aus unerschütterlichem Glauben vom Kummer des Nachkriegs, von Heimat und dem Wehen um sie; von einem zerstörten Paradies. Heinos Laufbahn als Sehnsuchtssänger der unerhörten Schmerzen begann wirklich in jener Zeit – als der liebste Schnulzier der Deutschen. 40 Millionen Platten hat er bis heute verkaufen können, eine Summe, die nicht wahrhaft vorstellbar ist. Aus Heino sich aber so auflöst: vom Bäckerstift über den Toilettenpapierverkäufer, Schrottsortierer und Hafenarbeiter zum Multimillionär.

Anfangs hing sein Herz noch an der SPD, das gehörte sich so in Oberbilk und das stand auch für den Bäckerburschen nicht infrage. In seinen Erinnerungen, trotzig „Und sie lieben mich doch“ benannt, berichtet er von Demonstrationen und davon, den KPD-Boss Max Reimann verehrt zu haben. Denn der kam aus Ostpreußen, der hatte ein Herz für die sozial Schwachen, „das war unser Mann“. Kramm, der Bäckergeselle: ein junger Mann, der seine Wünsche nach irdischer Gerechtigkeit keineswegs unter den Fittichen Adenauers und seiner Erben behütet sah, sondern bei den Roten. Willy Brandt, Carlo Schmidt, Herbert Wehner – das waren seine Helden, und zumindest Willy Brandt mochte ihn zurück. Dass seine musikalischen Interessen und Erzeugnisse in späteren Jahren stetig als faschismusverdächtig, als Bäh und Igitt verhandelt wurden, hätte er nicht verstanden und versteht es wohl bis heute nicht.

Denn Heino, das gehört ja auch zum verschütteten Wissen um die Popularkultur der Deutschen vor dem Beat, griff als Material ja nur auf, was die juvenilen Hipster des frühen und fortgeschrittenen 20. Jahrhunderts mochten. Sentimentale Visionen bündischer Provenienz, missionarisch in der Haltung, die Welt zu bessern, Lieder der fahrenden Jugend, der proletarischen Jungs, die in die Natur hinauszogen und am Lagerfeuer saßen. Sie Antipoden des Berliner Glamours zu Weimarer Zeiten, so wie Heino zum Konterpart der Beatgeneration wurde. Ein Grüner der Frühzeit, was nicht wundert, schätzt der Sänger doch die grüne Partei ihrer naturschützerischen Anliegen wegen immer noch sehr. Zurück zur Natur, Liebe zum Ursprünglichen, Kameradschaft, Ehrlichkeit und Mut, die Flucht vor der Moderne – das, wie verwölkt die Fantasien auch immer gewesen sein mögen, einte die internationalistischen oder völkischen Jugendlichen früher Jahre fugenlos. Und Heino kannte den musikalischen Stoff vom (im Krieg umgekommenen und lebenslang vermissten) Vater, aus der Familie überhaupt, ermutigt von der Mutter.

Kein Nazidreck, wie Heino immer pikiert vorgeworfen wurde. „Schöne Lieder“, wie der Gescholtene selbst erwiderte. „Wenn die bunten Fahnen wehen“ oder „Jenseits im Tale“: Was sollte daran schlecht sein? Nun, möglicherweise war es ein rebellischer Gestus des Barden, sich auf lästige Debatten mit den geschmackssicheren Mittelschichten gar nicht weiter einzulassen und Hoffmann von Fallerslebens „Lied der Deutschen“ nicht nur in der dritten Strophe, die Nationalhymne der BRD, sondern samt erstem und zweitem Vers vorzutragen. „Deutschland, Deutschland über alles“. Das war für unsereins eine Provokation, eine Zumutung, des Geschmacklosen zu viel, da wollte einer, so die nicht einmal nur versteckte Befürchtung, schreckliche Zeiten zurück.

Ein kulturästhetischer Irrtum, wahrscheinlich. Heino jedenfalls hat sich immer vor Rassismus jeder Art und auch vor Verwandtschaften zu Bräunlichem verwahrt. 1997 ließ er es sich nicht nehmen, gut sozialdemokratisch (wiewohl seit langem die Union wählend) an einer Protestaktion für den Erhalt des Kohlebergbaus teilzunehmen. Aber das nützte ihm nix: Einer, den die Eltern und Großeltern mochten, den musste man ablehnen. Politisch ambivalent, mindestens, ästhetisch außerdem unter aller Kanone. Übertrieben blond, als sei Albinoweiß modisch nun gänzlich jenseits aller Zumutbarkeit, mit öffentlich ausgewiesener Liebe zu Schäferhunden, eine Neigung zum goldenen Jackettknöpfen, schließlich die Sonnenbrille, als hätte einer was zu verbergen … Heino liebt außerdem Rehe und den Wald, die Ruhe und Manieren – und sein Publikum hatte stets guten Grund anzunehmen, dass er das nicht nur erzählt, weil es dies von ihm gern hören möchte. Antiamerikanisch und nostalgiedräuend – dieser Heino war in unseren Kreisen nicht zu mögen, so einer war zu schmähen und zu geißeln und auszubuhen.

Sind doch schöne Lieder

Heino verwies in seinen Memoiren lapidar wie auch im Gespräch jüngst lächelnd darauf, dass er auf sein Bankkonto schaue und fände, er müsse sich nichts vorwerfen. „Schöne Lieder“, immer wieder dieses Bekenntnis eines authentisch bleiben wollenden Mannes zu seinem selbst gewählten Oeuvre, es seien doch „schöne Lieder“, die er gesungen habe. Seine Bilanz, da er dieses Jahr zwei Jubiläen feiert, das der 50-jährigen Bühnenpräsenz wie des 40-jährigen Geburtstags seiner ersten Schallplatte, fällt möglicherweise versöhnlich aus. In der Generation seiner Enkel gehen nicht gleich die Daumen runter, wenn sein Name fällt: Man ehrte ihn schon vor Jahren mit einem Rap, mit Technoversionen seiner Greatest Hits – Heino war mehr auf Love Parades denn auf Schlager Moves eine Kultfigur.

Kann man sich mit einer Figur wie Heino versöhnen? Muss man ihm übel nehmen, dass er für rechte Kreise echte Nazisongs eingespielt hat? Dass auf rechtsradikalen Websites seine Lieder besonders geschätzt und per Mailorder verkauft werden? Dass Heino das selbst anstößig findet, aber nicht weiß, wie es dazu kommen konnte?

In der ARD läuft heute Abend eine Show zu beiden Jubiläen, ihr Titel ein Kompliment: „Heino“. Mehr muss es in der Ankündigung gewiss nicht haben, um Quoten zu fischen. Es könnte die letzte Gala jenes Mannes sein, Jahrgang 1938, der auf skurrile Weise noch den Wandervogel gibt und damit vielen Älteren Freude bereitet. Sie erinnern sich, mit ihm, durch ihn, an blutige, an schuldige, an längst begrabene, heimlich vielleicht auch an schöne Zeiten.