: Wehrpflicht gerade noch gerecht
Das Bundesverwaltungsgericht sieht derzeit keinen Verstoß gegen die Wehrgerechtigkeit. Dennoch bekam Verteidigungsminister Struck einen Rüffel wegen der zeitweise „rechtswidrigen“ Einberufungspraxis
AUS LEIPZIG CHRISTIAN RATH
In Deutschland besteht immer noch Wehrgerechtigkeit, auch wenn nur jeder dritte junge Mann eines Jahrgangs tatsächlich zur Bundeswehr muss. Das entschied gestern das Bundesverwaltungsgericht.
Geklagt hatte der heute 22-jährige Student Christian Pohlmann aus Kerpen. In einem überraschenden Urteil hatte er im April 2004 beim Verwaltungsgericht Köln Erfolg mit einer Klage gegen seinen Einberufungsbescheid. Die Kölner Richter sahen das Willkürverbot des Grundgesetzes verletzt, wenn „weniger als die Hälfte der für eine Einberufung in Frage kommenden jungen Männer zum Wehrdienst herangezogen“ werden. Andere Verwaltungsgerichte teilten zwar die Kölner Analyse, lehnten Klagen von Wehrpflichtigen aber ab, denn es gebe keinen Anspruch auf „Gleichbehandlung im Unrecht“.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Kölner Urteil gestern wieder aufgehoben. Es komme für die Wehrgerechtigkeit nicht darauf an, dass mindestens ein bestimmter Prozentsatz der Männer eines Jahrgangs Wehrdienst leiste. Entscheidend sei vielmehr, dass der (viel kleinere) Kreis der „einberufbaren“ Wehrpflichtigen „weitgehend ausgeschöpft“ werde, so der Vorsitzende Richter Franz Bardenhewer.
Offensichtlich waren die Richter von einer neuen Statistik der Bundeswehr aus dem Dezember 2004 beeindruckt. Danach sind von derzeit durchschnittlich 410.000 jungen Männern pro relevantem Jahrgang nur 156.000 verfügbar, so Eckhard Benken von der Bundeswehr-Verwaltung. Abzuziehen seien nämlich alle Untauglichen, Kriegdienstverweigerer und diejenigen, die andere Dienste leisten oder unter Wehrdienstausnahmen fallen. Von den Verfügbaren haben nach den Bundeswehrangaben durchschnittlich 136.000 Männer Wehrdienst geleistet, das entspricht immerhin einer Quote von 87 Prozent.
Klägeranwalt Andreas Bartholomé hatte kritisiert, dass die Bundeswehr die Zahl der Einberufbaren manipuliere, etwa indem sie die Anforderungen an die Tauglichkeit der Soldaten erhöhe oder Verheiratete nicht mehr einberufe. Die Richter sahen dies jedoch nicht als unzulässige, sondern eher als notwendige Reaktion auf den geringen Bedarf an Wehrpflichtigen.
Vorgeworfen wurde Verteidigungsminister Peter Struck nur, dass er die neuen Tauglichkeitskriterien und Wehrdienstausnahmen im März 2003 nur als Erlass verfügte. „Für Wehrdienstausnahmen ist immer ein Gesetz erforderlich“, erklärte Richter Bardenhewer, deshalb sei die Einberufungspraxis zeitweise „objektiv rechtswidrig“ gewesen. Anders als das Verwaltungsgericht Köln wollten die Leipziger Richter freilich nicht von Willkür sprechen. Inhaltlich seien die Regeln des Struck-Erlasses nämlich in Ordnung, was man schon daran sehe, dass die neuen Ausnahmen im September 2004 auch ins Wehrpflichtgesetz übernommen wurden.
Großer Reformdruck für die Wehrpflicht wird von der Leipziger Entscheidung wohl eher nicht ausgehen.