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Archiv-Artikel

Ramm bockt

Einmal trieb er Schweine vorsFinanzamt. Und seine FreundinVicky zeigte sich barbusigauf einem Wahlplakat

AUS BERLIN BARBARA BOLLWAHN

Es gibt Menschen, die glauben, ein besonders feines Gespür zu haben. Sie haben das Bedürfnis, ja geradezu den Drang, aufzunehmen, was andere empfinden, denken oder an Stamm- und Küchentischen reden. Sie schauen dem Volk so lange aufs Maul und legen ihr Ohr so nah an Volkes Stimme, bis sie sich erkoren fühlen, Volkes Stimme zu sein.

Bernd Ramm ist so einer. Er ist 64 Jahre alt, ein Mann von kräftiger Statur und Doktor der Physik. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Strahlen und dem Strahlenschutz, seit vielen Jahren an der Charité. Er hat Bücher über Röntgenqualitätsprüfungen und Strahlung in Umwelt, Medizin und Technik verfasst. Er kennt sich aus mit eindeutig nachweisbaren Strahlen, so wie in Tschernobyl, als auch mit kaum oder nicht nachweisbaren Strahlen, wie sie von Telefonen oder Fernsehgeräten ausgehen können. Menschen, die darunter leiden, zeigen Symptome, aber objektiv ist nichts nachzuweisen. Gefühlte Strahlen nennt man das. Es gibt sie, so wie es auch eine gefühlte Temperatur gibt.

Ramm, der Physik studiert hat, um die Welt verstehen und erklären zu können, hat nun ein Phänomen fernab der Wissenschaft entdeckt, das eigentlich gar nicht nachweisbar ist. „Es gibt eine gefühlte Wahrheit, die man ernst nehmen muss.“

Deshalb ist er angetreten, um zumindest deren Existenz zu verkünden. Seit dem 1. Januar ist Ramm Schöffe am Landgericht Berlin. Weil das aber niemandem auffallen würde, außer natürlich dem Vorsitzenden Richter, dem er zugeordnet ist, und den anderen Prozessbeteiligten, hat er sich etwas einfallen lassen, damit das Volk, zumindest das Berliner Volk, erfährt, dass es jetzt eine Stimme im Kampf gegen die vermeintlich zu lasche Justiz hat. 2.900 Euro hat er ausgegeben und in der Berliner Morgenpost eine großformatige Anzeige unter der Überschrift „4 Jahre Schöffe“ geschaltet.

Darin stellt er klar, dass Strafe nicht nur der Resozialisierung des Täters diene, sondern vielmehr der Abschreckung, dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen und vor allem dem Schutz der Gesellschaft vor Verbrechern. Ramm verspricht, im Rahmen der bestehenden Gesetze alles zu tun, um Bewährungsstrafen für Täter, die Kinder vergewaltigen, zu verhindern. En passent tituliert er Grünen-Chefin Claudia Roth als „den derzeitigen personellen Höhepunkt des Gutmenschentums“.

In sein Stammlokal in Kreuzberg, das Café Marx, hat er ein weißes Büchlein mitgebracht. Die Strafprozessordnung. „Zugegeben“, sagt er, „die Äußerungen in der Anzeige sind ein bisschen polemisch, aber sonst wird man nicht wahrgenommen.“

Ramm hat schon einmal Aufsehen erregt. Das war Anfang der 90er-Jahre, als er die „Bürger- und Stadtpartei Berlin“ gründete, eine „Partei für die kleinen Leute“. Freimütig bekannte er schon damals, nichts gegen „Stammtischpolitik“ zu haben. Vor der Abgeordnetenhauswahl 1995 trieb er Schweine zum Finanzamt, die Kandidatin für die Abgeordnetenhauswahl posierte barbusig auf einem Wahlplakat. Neben einer zweifelhaften kurzzeitigen Berühmtheit brachte ihm das weniger als ein Prozent der Stimmen. Geblieben ist ihm das Bedürfnis, für Furore zu sorgen. Und die damals barbusige Wahlkandidatin. „Meine Vicky“, sagt er liebevoll über seine Freundin, eine Lehrerin, die auf Jobsuche zurzeit in Neuseeland ist.

„Berlins härtester Richter“, „Richter Gnadenlos“ und „Berlins härtester Schöffe“ titelten unisono die Lokalteile der Hauptstadtpresse. Die „Republikaner“ sprachen ihm „Dank, Anerkennung und Hochachtung für seine aufrechte Meinung“ aus. Ramm wehrt sich entschieden dagegen, „in die rechte Ecke gestellt zu werden“. Immer wieder betont er, dass er aus einer alten SPD-Familie stamme und in jungen Jahren bei den Jusos eingetreten sei. „Dann bin ich konservativer geworden.“ Vor elf Jahren trat er bei den Sozialdemokraten aus. Er wähle jedoch immer noch SPD, sagt er.

Ramm legt die rechte Hand behutsam auf die linke. „Es wird zu milde geurteilt. Die Ängste und Gefühle der Menschen muss man ernst nehmen.“ Auch die gefühlte Wahrheit. Er schaut dabei ganz ernst, als hätte er tatsächlich ein Mandat des Volkes. „Die Gesellschaft soll sich Gedanken darüber machen, wie die Justiz mit Verbrechern umgeht.“ Weil sich niemand traue, den Finger in die Wunde zu legen, tue er es. Ramm ist es nicht zu peinlich, Luther zu zitieren. „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Deshalb auch die Anzeige. Ramm wirft die Hände in die Luft. „Weiß Gott, es ist mir völlig klar, dass es eine Berühmtheit für zwei Tage ist.“ Trotzdem, sagt er, gebe es „Bewegung in der Sache“.

Es muss eine gefühlte Bewegung sein. Denn diskutiert wird nur über seine mögliche Befangenheit. Die Vereinigung „Berliner Strafverteidiger e. V.“ hätte ihn am liebsten schon vor der ersten Verhandlung von der Schöffenliste streichen lassen. „Ein Laienrichter, der sich derart pauschal ohne Ansehung des Einzelfalles und der Person des jeweiligen Angeklagten die Durchsetzung harter Bestrafung auf die Fahne schreibt, ist als Schöffe nicht tragbar“, heißt es in einer Erklärung der Vereinigung.

Ramm hat in seiner Anzeige einen Kriminalfall erwähnt. Wegen dieses Falls hat er sich überhaupt als Schöffe beworben. 1998 vergewaltigte in Berlin-Spandau ein 22-jähriger Mann ein 13 Jahre altes Mädchen. Der Mann war Nachbar der Familie des Opfers. Er drohte, sie umzubringen, wenn sie ihrer Mutter etwas sage. Das Mädchen wurde schwanger und schwieg. Erst als sie in der 22. Woche war, stellte ein Arzt die Schwangerschaft fest und leitete für eine Abtreibung die Wehen ein. Ein Amtsrichter verurteilte den Täter zu drei Jahren Haft. Der legte Berufung ein und gestand in zweiter Instanz vor dem Landgericht die Vergewaltigung. Das wurde zu seinen Gunsten gewertet. Er bekam eine Bewährungsstrafe.

Die Rechtsanwältin Ellen Engel erinnert sich noch heute an „den Deal, der ein Schlag ins Gesicht der Geschädigten war“. Auch daran, wie es „am gleichen Tag Anrufe von Presse, Rundfunk und Fernsehen regnete“. Die erfahrene Juristin war damals so schockiert, dass ihr etwas passierte, was ihr sonst nie im Gerichtssaal passiert. „Ich habe geheult.“ Für den Tränenausbruch sorgte auch die Tatsache, dass ihr als Vertreterin der Nebenklage die Hände gebunden waren. Wenn es ein Strafmaß gibt, wie milde auch immer es ausfällt, hat die Nebenklage keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Deshalb hat sie Verständnis für Ramm. „Als Bürgerin und Volksseele“, sagt sie. „Hut ab. Das finde ich Klasse.“ Andererseits sagt sie als Anwältin, „dass die Anzeige mit Sicherheit nicht klug war“, weil er sich möglicherweise befangen macht. „Vielleicht nimmt er sich ein bisschen wichtig.“

In der Tat. So glaubt Ramm, dass er „ein Fünkchen“ dazu beigetragen habe, dass der Generalbundesanwalt Revision gegen die Bewährungsstrafe eingelegt hat und nun am 8. Februar erneut über das Strafmaß verhandelt wird. Ramm wird Urlaub nehmen, um der Verhandlung als Besucher beizuwohnen.

Seine erste Verhandlung als Schöffe findet vier Tage vorher statt. Ein Diebstahl. Eigentlich erfahren Schöffen erst kurz vor dem Prozess, worum es geht. Ramm weiß es jetzt schon. „Kleine Fahrradklauer“, sagt er immer wieder, würden bei ihm auf Milde hoffen können. „Aber bei Vergewaltigung wäre ich emotional vielleicht nicht völlig frei“, bekennt er freimütig. Ramm schlägt einen verschwörerischen Ton an. „Seien wir mal ehrlich, wer geht unbefangen ins Gericht?“ Er wartet wenige Sekunden und gibt selbst eine Antwort. „Das ist eine Lebenslüge.“ Sollte bei seiner ersten Verhandlung die Verteidigung beantragen, ihn wegen Befangenheit abzulehnen, will er klagen.

Im Berlin-Brandenburgischen Landesverband des Bundes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter ist Ramm nicht Mitglied. Er braucht sich auch gar nicht zu bewerben. „Wir würden ihn ablehnen“, sagt der Vorsitzende Klaus-Dieter Koch. „Die Äußerungen sind eine Unverschämtheit.“ Dabei hat Koch früher auch wie Ramm gemeint, dass die Justiz zu milde urteile. „Nach Übernahme des Schöffenamts dachte ich, wie konnte ich so einen Mist sagen“, sagt er.

Am Anfang des Gesprächs im Café Marx hatte Ramm vollmundig verkündet, vor das Verfassungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, so genau weiß er nicht, welches zuständig wäre, sollte er beim ersten Prozess wegen Befangenheit abgelehnt werden. Am Ende klingt Volkes Stimme etwas müde. „Ich muss kein Michael Kohlhaas sein“, sagt er stattdessen. „Man muss auch Niederlagen akzeptieren können.“ Immerhin wird er sich zugute halten können, es versucht zu haben.