: Auf dem Acker der Scheinheiligen
Die Bauern schimpfen über Einnahmeverlust und Höfesterben und meinen die Ministerin Künast. Dabei sind es Union, FDP und SPD, die sie in den Ruin treiben
Auf der weltgrößten Konsumentenmesse, der Grünen Woche in Berlin, treffen sich dieser Tage wieder die europäischen Entscheider im Agrarsektor. Die grüne Bundesministerin Renate Künast bleibt weiterhin eine Exotin im Reigen der Kollegen und gilt vielen Bauern als größte Feindin ihres Standes.
In diesem Glauben wollen die CDU-Agrarexperten ihre Landwirte noch ein paar Jahre halten. Sie bestiegen Anfang dieses Jahres vorsorglich die Bühne. Der Ministerin und ihren grünen FreundInnen seien die Menschen auf dem Lande sowie der Umwelt- und Naturschutz egal, hieß es aus der Unions-Bundestagsfraktion.
Es ging um die EU-Verhandlungen, um die künftige Verteilung der Agrarmittel. Hier könnte wirklich vieles schief gehen – allerdings aus anderen Gründen, als die Union glauben machen will. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel legte diese Woche nach: Künast wolle, „dass es in Deutschland keine Bauern mehr gibt“. Und weiter: „Im Zweifelsfall hat der Mensch Vorrang vor der Kröte.“
Die Union sollte besser schweigen. Zwar gäbe es an der Agrarpolitik der Bundesregierung einiges zu verbessern. Aber es sind Union und FDP, die seit Jahrzehnten Arbeitsplätze in der Landwirtschaft durch die Förderung der Intensivbetriebe minimieren. Im Zusammenspiel mit dem Bauernverband kam es auch zu einer Konzentration der Verarbeitungsindustrie wie Schlachthöfe und Molkereien. Das erschwert jegliche regionale Initiative. Die Agrobosse halten beste Kontakte zu ihren Handlangern in den Landesparlamenten und -regierungen. Die Länder blockieren im Bundesrat alles, was irgendwie die Pfründen des Agrobusiness schmälern könnte. Dass dabei zehntausende Arbeitsplätze pro Jahr verloren gehen, gehört zum Konzept: Der Ausstoß an Nahrungsmitteln steigt, auch wenn die Zahl der Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft sinkt, in diesem Jahr auf unter 900.000. In der nachgelagerten Ernährungsindustrie arbeiten nur noch gut 500.000 Menschen – in einer stark sinkenden Zahl von Betrieben.
Die Strukturen werden größer, die Zahl der Betriebe sinkt –und die Überlebenden bestimmen in den Verbänden die Politik zu ihren Gunsten. Eine unrühmliche Rolle spielen die wenigen SPD-regierten Länder (mit Ausnahme des rot-grünen Nordrhein-Westfalen): Sie stimmen mit der Unions-Phalanx im Bundesrat die meisten sinnvollen Vorschläge nieder.
Vor allem die ostdeutschen Ministerpräsidenten schützen ihre Großbetriebe und LPG-Nachfolger. Sie sorgen sich dabei wenig um die Struktur der ländlichen Räume und darum, ob es noch Betriebe für „Urlaub auf dem Bauernhof“ oder arbeitsplatzintensive regionale Vermarktung und Weiterverarbeitung gibt. Sie setzen lieber auf den Weltmarkt und die dafür nötige Groß- und Billigproduktion.
Angesichts dieser Situation verwundert es nicht, dass in den alternativen Naturschutz- und Bauernverbänden die Verhandlungen über die EU-Förderung ab 2013 mit Argwohn beäugt werden. Das Geld ist knapp und soll umverteilt werden. Deutschland und andere Nettozahler wollen den Haushalt der EU auf 1 von derzeit 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beschränken. Selbst wenn sie damit nicht durchkommen: Steigen wird die Summe der zu verteilenden Milliarden nicht. Die Zahl der Aufgaben und der profitierenden Länder schon.
Alle wollen an die größten Stücke im EU-Haushalt ran, die Agrartöpfe. Sie sind in zwei Säulen eingeteilt. Mit der ersten Säule erhalten die Bauern direkt und pauschal Geld pro Hektar oder pro Rind. Die Großen bekommen hier die großen Summen. Sie macht mit knapp 44 Milliarden Euro im Jahr 2005 den Löwenanteil aus. In der zweiten Säule gibt es gezielt Geld für Leistungen wie besonderen Umweltschutz oder regionale Entwicklungsprojekte. Jahresbudget: 6,3 Milliarden Euro. Zusammen ergeben sie knapp 46 Prozent des EU-Haushalts.
Mit der Neuverteilung des Kuchens ergibt sich eine besondere Schwierigkeit: Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Präsident Jacques Chirac haben im Oktober 2002 einen maximalen Betrag für die Direktzahlungen der ersten Säule festgelegt. Darauf beruft sich die Agrarlobby, allen voran der von den Bauernstimmen abhängige Chirac.
Die erste Säule dürfe nicht angerührt werden, so deuten sie die Vereinbarung. Wenn aber Geld aus dem Agrarhaushalt etwa in Forschung oder die neuen Mitglieder in Osteuropa abfließen soll, muss demnach die zweite Säule geschöpft werden – und das sind ausgerechnet die hart erkämpften, sinnvollen Projekte der ländlichen Entwicklung und des Naturschutzes.
Verbände wie Euronatur fürchten deshalb, dass in den derzeit anlaufenden Verhandlungen über die Finanzen der Europäischen Union bis zum Jahr 2013 diese Förderung um zwei Drittel schrumpfen könnte.
Die Bundesregierung, auch das Haus Künast, sehen das gelassener. Eine maximale Summe bei den Direktsubventionen hieße ja keineswegs, dass diese ausgeschöpft werden muss, so die Hoffnung. Allerdings müsste dann der Kanzler seinen engsten Alliierten Chirac attackieren. Und zwar auf einem Gebiet, dass für den Franzosen überlebenswichtig ist, für den Kanzler aber bisher marginal war. An solche Wunder zu glauben, fällt schwer. Noch dazu, wenn große Teile der sozialdemokratischen Fachpolitiker auf Seiten der Agrarlobby stehen.
Die Umweltverbände warnen deshalb zu Recht vor einem Verlust der bäuerlichen Landwirtschaft und damit weiter Teile der hiesigen Kulturlandschaft. Die Biobauern können es nicht alleine reißen. Zwar ist der Verkauf von Bio-Lebensmitteln 2004 wieder um zehn Prozent gestiegen und die Förderung von der Forschung bis zur Vermarktung läuft weiter. Aber mit einem Anteil an der bewirtschafteten Fläche von etwa fünf Prozent bleibt es die „Nische“, von der der alles beherrschende Deutsche Bauernverband immer süffisant spricht.
Was bleibt den wohlmeinenden Verbänden? Die Materie ist kompliziert und derzeit auch wahrlich nicht im Brennpunkt des Interesses. Aber sie müssen weiter darauf hinweisen, dass es hier beispielhaft um alle großen Themen geht: Der Staat verteilt viele Milliarden Euro mit dem perversen Effekt, Arbeitsplätze zu vernichten, der Umwelt zu schaden und den Menschen das Mitspracherecht über ein Grundrecht zu nehmen – nämlich wer sie womit ernährt.
Und die Verbraucher? Sie sind Wähler in zweierlei Hinsicht. Sie können kaufen, was sie wollen, also mehr aus biologischer Landwirtschaft, mehr regional. Und sie wählen ihre Landes- und Bundesregierung. Wenn sie ihre Wahl bewusst treffen, würde das locker genügen für Agrarwenden aller Art. Bisher hält es die große Mehrheit allerdings mit dem Bundeskanzler: Agrarwende schön und gut, aber im Zweifel habe ich weder Zeit noch Nerven dafür. Dabei geht es ums Essen und die Hälfte der Fläche unseres Landes. REINER METZGER