leserinnenbriefe
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■ betr.: „Vollzeitjob macht Mütter froh“, taz vom 26. 5. 09

Frau mit Kind

Ich habe schon lange die Schnauze voll von polarisierenden Berichten über die Lebenssituation von Müttern in Deutschland! Vollzeitmutter mit schlechtem Gewissen, weil die Karriere leidet, Teilzeitmutter mit schlechtem Gewissen, weil die Kollegen einen auch nach zwei Jahren noch mit einem fröhlichen „Na, da wünsch ich einen schönen Nachmittag“ um 14 Uhr im Schweinsgalopp Richtung Kita verabschieden, oder lieber Vollzeitstelle mit schlechtem Gewissen, weil die Kinder weinen, wenn man es mit letzter Kraft um fünf vor fünf zur Kita geschafft hat? Welches schlechte Gewissen darf es denn sein?

Ich wünsche mir, dass endlich Schluss ist mit dem Schlechtmachen von Lebensentwürfen moderner Frauen mit Kind. Individualität statt Vereinheitlichung! Jede Mutter ist anders, jedes Kind ist anders. Das Problem ist nicht zu wenig Arbeit, sondern dass die Arbeit, die die Aufzucht und Pflege von (Klein)Kindern macht, kärglich (Erzieherinnen, Tagesmütter) oder gar nicht (Mütter, Omas) bezahlt wird. Das Elterngeld ist ein Schritt in die richtige Richtung, greift aber zu kurz, weil es am ersten Geburtstag des Kindes (bzw. zwei Monate später bei Alleinerziehenden) ausläuft. Davon abgesehen ist die Staffelung in Anlehnung an das letzte Nettogehalt extrem ungerecht. Bedeutet nämlich: Akademikerinnen sollen Kinder kriegen, das unterstützen wir zumindest ein Jahr lang, aber Studentinnen oder gar Arbeiterinnen, die sollen lieber keine Kinder kriegen oder wenn, dann auf eigene Kosten.

Das schlechte Ansehen von Teilzeitstellen, das in dem Bericht erwähnt wird, ist ebenfalls ein großes Problem, allerdings wäre es sinnvoller, dagegen etwas zu tun (Teilzeitstellen für Führungskräfte, Teilzeitstellen auch für Männer, Abschaffung der himmelschreiend ungerechten Steuerklasse V usw.), anstatt zu fordern, dass alle Frauen, die mit ihrer Teilzeitstelle unzufrieden sind, doch einfach Vollzeit arbeiten sollen. Und gerade von der taz hätte ich auch gerne etwas mehr „Jede nach ihren Bedürfnissen, jede nach ihren Fähigkeiten“! MELANIE URBSCHAT, Ärztin mit drei Kindern, Karlsruhe

■ betr.: „Das ist nicht meine Abteilung“, taz vom 25. 5. 09

Von anderen Ländern lernen

Der Bericht zeigt, dass in einem wichtigen Bereich der deutschen Wirtschaft der Wettbewerb vor allem über Lohndumping entschieden wird. Eine Abwärtsspirale, die allerdings nicht über Nacht gekommen ist, sondern die fatale Folge von falschen bzw. fehlenden ordnungspolitischen Rahmenbedingungen darstellt. Schließlich tritt in anderen europäischen Ländern, die einen besseren Mitarbeiterschutz kennen, dieses soziale Marktversagen so nicht auf. Angela Merkel hat deshalb Unrecht, wenn sie im Zuge der Krise Deutschland als Vorbild preist. Vielmehr sollte dieses Land von anderen lernen! RASMUS PH. HELT, Hamburg

■ betr.: „Frontalunterricht – jetzt am Whiteboard“,taz vom 20. 5. 09

Kein schnelles Ende der Kreidezeit

Interaktive Whiteboards im Unterricht sind bestimmt eine tolle Sache. Man sollte solche technischen Neuerungen für den Schulalltag trotzdem einer kritischen Analyse unterziehen. Die meisten Schüler und Schülerinnen sind den Umgang mit Computern zwar gewohnt, aber nicht jeder ist ein Computerfreak, und die Fähigkeit, zum Beispiel ein Referat adäquat mit dem Whiteboard zu präsentieren, muss erst einmal gelernt sein. Die mediale Aufbereitung verlangt Lehrern wie Schülern zusätzlich etwas ab und stellt neue Anforderungen. Vor allem aber prophezeie ich etwas anderes: einen flächendeckenden Einsatz von E-Tafeln an deutschen Schulen, also das Ende der Kreidezeit (vergleichbar mit der Ausstattung an der Berliner Grundschule in Lichterfelde) wird es so schnell nicht geben. Und das wird sicher nicht an der mangelnden Akzeptanz vieler Lehrer und Lehrerinnen über 45 liegen, sondern ganz schlicht an fehlendem Geld.

Dass die Whiteboards auch in Zukunft nur eine untergeordnete Bedeutung an deutschen Schulen haben werden, illustriert die im Artikel erwähnte Einsatzplanung der Hamburger Bildungsbehörde deutlich: „Bis 2011 sollen in allen 351 Staatsschulen drei bis sieben Boards stehen.“ Es sind nicht nur die Anschaffungs-, sondern auch die Folgekosten, die dabei eine Rolle spielen. Die meisten Klassenräume brauchen zum Teil kostspielige Verdunkelungsvorrichtungen, damit die digitale Tafel auch noch in der hintersten Sitzreihe gelesen werden kann. Und wie das mit digitaler Technik nun mal so ist, Updates und Wartung der Software verschlingen zusätzliches Geld. Außerdem geraten die finanziell völlig überforderten Schulen in eine technische Innovationsspirale. Der Artikel deutet es schon an. Das nächste große Ding sind Tischboards mit Multitouchfunktionen. Hier kann eigentlich nur der finanziell potentere Privatschulsektor mithalten. Während dem öffentlichen Bildungssektor die Bausubstanz unter den Füßen wegbröselt, rüsten die Privaten technisch auf, um ihre Attraktivität weiter zu erhöhen. Ich hätte erwartet, dass Timo Hoffmann nicht nur Lobeshymnen für neue Techniken anstimmt und die Lehrer mal wieder „als wahre Dinosaurier des Lernens“ hinstellt, sondern die Dinge nüchtern betrachtet und auf Fehlentwicklungen hinweist. HARTMUT GRAF, Hamburg