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Archiv-Artikel

Vielfahrer laufen davon

Zehntausende BVG- und S-Bahn-Stammkunden sparen sich nach Zahlen des VBB ihr Dauerticket. Fahrgastverband nennt „dramatische“ Preisaufschläge als Ursache. Betriebe streiten Einbrüche ab

VON ULRICH SCHULTE

BVG, S-Bahn und den brandenburgischen Verkehrsbetrieben laufen die Stammkunden weg. Zwischen 2000 und 2004 ist die Zahl verkaufter Monats-, Abonnement- und Jahreskarten teils drastisch gesunken. Das belegt eine Aufstellung des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), die der taz vorliegt.

Betrachtet man alle Vielfahrertickets zusammen (siehe Kasten), mussten die Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren ein Minus von 12 Prozent verkraften. Der Verkauf von Monatskarten ging um 6 Prozent zurück, der von Abonnementkarten um 4,5 Prozent. Katastrophal sieht es bei den Jahrestickets aus: Die Verkaufszahl verringerte sich um 27 Prozent, den Betrieben ist also fast ein Drittel der treuesten Kunden abhanden gekommen.

Die Einbrüche betreffen laut VBB 17 Verkehrsfirmen, die im Bereich ABC fahren – vor allem aber BVG und S-Bahn als Branchenriesen. Sie setzen rund 95 Prozent der Tickets im Raum Berlin ab. S-Bahn-Marketingleiter Wilfried Kramer widerspricht den Trends: „Bei den Abonnementkarten verzeichnen wir erhebliche Zuwächse.“ Auch der Verkauf von Monatskarten sei nicht „dramatisch rückläufig“. BVG-Sprecher Watzlack nennt die Daten „weit entfernt von dem, was bei uns vorliegt“. Leichte Rückgänge bei den Monatskarten würden durch Zunahmen bei Semester- und Firmentickets aufgefangen. Jeder Betrieb rechnet dabei anders zusammen, die beiden Letzteren tauchen in der VBB-Liste nicht auf.

Schlüsselt man die Verbunds-Zahlen auf, läuft ein Wert den trostlosen Abwärtskurven entgegen: Während 2003 im Schnitt knapp 168.000 Kunden im Monat die Umweltkarte kauften, waren es 2004 fast 185.000.

Für Christfried Tschepe vom Fahrgastverband Igeb ist klar: „Etliche tausend Leute, die zuvor mit Sozialkarten fuhren, mussten vergangenes Jahr auf teure Tickets ausweichen.“ Für Leute mit Teilzeitjobs sei der Nahverkehr zum Beispiel unverzichtbar, sagt Tschepe. Solche Niedrigverdiener wurden durch die Entscheidung von Senat und BVG, das Sozialticket im vergangenen Jahr einzusparen, geschröpft.

Nach dessen Wiedereinführung im Januar befürchtet der Fahrgastvertreter Schlimmes für die Monatskartenverkäufe von BVG und S-Bahn: „Dass die Menschen zum Sozialticket zurückwechseln, kann man sich an drei Fingern abzählen.“ Und mit Blick auf die anstehende Tariferhöhung schwant Tschepe: „Die Preisaufschläge sind immer Anlass für viele Leute, ihr Abo zu kündigen – Faktoren wie Jobwechsel spielen da kaum eine Rolle.“

Dass den Unternehmen Stammkunden abhanden kommen, liegt – neben zunehmender Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen – an ihrer rigiden Preispolitik. Sie folgt der Maßgabe: Gelegenheitsfahrer bleiben ungeschoren, Stammkunden werden abkassiert. So war ein Einzelfahrschein AB im Januar 2002 für 2,10 Euro zu haben, momentan ist er mit 2 Euro sogar billiger. Dem gegenüber stehen happige Aufschläge für Vielfahrer: Während ein Monatsticket im Jahr 2000 noch 53,70 Euro (105 Mark) kostete, sollen die Kunden ab 1. August 67 Euro löhnen – knapp 25 Prozent mehr.

Zum Vergleich: Die Lebenshaltungskosten stiegen in der Zeit um 5 Prozent. „Für die Berliner sind solche Tarifsteigerungen dramatisch“, sagt Tschepe. Die Kalkulation bei Viel- und Gelegenheitsfahrern stehe in einem völlig falschen Verhältnis: „Es wundert nicht, dass viele Leute sich ausrechnen, ob sie noch eine Monatskarte kaufen – oder ihre Fahrten mit Einzeltickets erledigen.“