: Die Rückkehr des Poltergeists
Der bosnische Regisseur Emir Kusturica wird in diesem Jahr die Jury der 58. Filmfestspiele in Cannes leiten
Die Zahl der Filmemacher, die mehr als einmal die Goldene Palme in Cannes gewinnen konnten, lässt sich an einer Hand abzählen. Bislang war das nur vier Regisseuren vergönnt, einer davon ist Emir Kusturica: Für seine Satire „Papa ist auf Dienstreise“ gewann der bosnische Regisseur 1985 das erste Mal den Hauptpreis an der Croisette und feierte damit seinen internationalen Durchbruch. Zehn Jahre später wiederholte sich der Erfolg, als Kusturica für seinen Film „Underground“ die Goldene Palme erhielt. Dazwischen konnte er 1989 zudem mit dem Regiepreis für sein opulentes Zigeuner-Melodram „Time of the Gypsies“ nach Hause fahren.
Er sei „mehrmals geboren“ worden, behauptet Emir Kusturica gerne von sich. Kein Wunder, dass er meint, dass eine seiner Geburten „sicherlich in Cannes stattgefunden“ habe. Nun steht eine weitere Neugeburt bevor: Der 50-Jährige wird im Mai die 58. Filmfestspiele von Cannes als Jury-Präsident leiten, wie die Veranstalter bekannt gaben.
Das ist insofern überraschend, als sich mit Cannes für Kusturica nicht nur Triumphe verbinden. Sondern auch die heftige Kritik, die er einstecken musste, als seine Bürgerkriegs-Groteske „Underground“ 1995 die Goldene Palme gewann. Französische Intellektuelle und bosnische Kritiker warfen ihm daraufhin vor, mit seinem Film letztlich der serbischen Propaganda das Wort zu reden: In dem über drei Stunden langen Film löst sich die Frage nach Schuld und Verantwortung für die Blutbäder auf dem Balkan in einem Strudel aus Schlachtengetümmel, besinnungslosem Chaos und enthemmter Blasmusik auf.
Die Kritik an „Underground“ ging an Kusturica nicht spurlos vorbei: Eine Weile lang erwog er, sich ganz aus dem Filmgeschäft zurückzuziehen. Tatsächlich hat er sich in den letzten Jahren hauptsächlich seiner Band „No Smoking“ gewidmet, der er als Bassist zur Seite steht. Mit ihrem folkloristisch angehauchten Fun-Punk sind sie so etwas wie die Toten Hosen von Belgrad.
Mit einem neuen Film (der aber noch nicht in deutschen Kinos lief) rief sich Emir Kusturica im vergangenen Jahr in Cannes wieder in Erinnerung. Die Entscheidung, ihn nun zum Jury-Präsidenten zu küren, entspricht der Linie des Festivals, politischen Kontroversen nicht auszuweichen. Im Vorjahr hatte die Jury unter dem Vorsitz von Quentin Tarantino die Michael-Moore-Dokumentation „Fahrenheit 9/11“ ausgezeichnet. Dies war von vielen als eine mehr politische denn künstlerische Entscheidung kritisiert worden. Emir Kusturica selbst hat angekündigt, er wolle als Jury-Präsident in Cannes „das Ästhetische und das Künstlerische“ in den Mittelpunkt stellen. „Jetzt obliegt es mir, die Werte des Festivals zu verteidigen“, gibt er sich sendungsbewusst.
Wer den aufbrausenden Charakter des Regisseurs kennt, der gegen Kritiker und Gegner gerne mal lospoltert, der weiß: Für die anderen Jury-Mitglieder dürfte das anstrengend werden.
DANIEL BAX