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Archiv-Artikel

Ein Mann mit einer Vision

Selbstsicher, gelassen und machtbewusst vertritt George W. Bush bei seiner Vereidigung den Anspruch Amerikas, Freiheit in der ganzen Welt zu schaffen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Als George W. Bush vor vier Jahren erstmals das Präsidentenamt antrat, sprach er ganze sieben Sätzen über Außenpolitik. Am Donnerstag sprach er sechs Sätze über Innenpolitik. Damals machte er sich noch fast lustig über die Aufgabe, Nationen neu aufzubauen. Die Europäer fürchteten, seine Regierung würde die US-Streitkräfte vom Balkan abziehen und sich international isolieren – eine Sorge aus ferner Vergangenheit. Heute will der Texaner die Welt umkrempeln.

Ein selbstsicherer, entspannter und den Moment sichtlich genießender Bush legte am Donnerstag auf den Stufen des Kapitols den Amtseid ab. Auch das ein dramatischer Wandel gegenüber Januar 2001, als ihm die Nervosität deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Man fragt sich, woher Bush und seine Getreuen diese Selbstgewissheit nehmen, außer dass man das Wunder vollbracht hat, Versagen in Erfolg umzumünzen.

Irak, den schwerwiegendsten Makel seiner Präsidentschaft, erwähnte Bush mit keinem Wort. Auch viele andere heiße Eisen wurden nicht berührt. Nun hat niemand an einem Tag wie diesem, der ganz im Zeichen von Zeremonie und Tradition steht, einen Masterplan für die kommenden vier Jahre erwartet. Überdies hält Bush in zehn Tagen seine Rede an die Nation. Dort wird er um ein paar Details nicht herumkommen.

Vorgestern ging es um große Visionen und Idealismus. Abgesehen von dem bekannten Bush-Mantra – Freiheit und Demokratie weltweit zum Durchbruch zu verhelfen – gab es neue und überraschende Töne. Erstmals räumte Bush ein, dass US-Politik ihre Grenzen hat, wenn es um besagten Idealismus geht. Bush lässt plötzlich Anzeichen eines Realpolitikers erkennen. Auch will er erkannt haben, dass die Verbreitung von Freiheit nicht primär eine militärische Angelegenheit ist, sondern ein Wunsch, der von innen wachsen und sich selten von außen aufzwingen lässt. „Wir werden unseren Stil Unwilligen nicht aufzwingen. Unser Ziel ist es, anderen zu helfen, ihren eigenen Weg zu gehen.“ Solche Sätze haben wenig mit seiner früheren Cowboyrhetorik zu tun.

Vielmehr schien es, als ob Bush in die Fußstapfen großer Vorgänger, die einen amerikanischen Internationalismus vertraten, treten wollte. Präsident Franklin D. Roosevelt sagte 1945: „Wir haben gelernt, dass wir nicht allein in Frieden leben können. Unser eigenes Wohlergehen hängt am Wohlergehen anderer Nationen, auch wenn sie manchmal weit entfernt sind.“ Sechzig Jahre später verkündet George W. Bush: „Das Überleben der Freiheit in unserem Land hängt zunehmend vom Erfolg der Freiheit in anderen Ländern ab.“ Dies könnte den Nerv jener treffen, die zum Beispiel glauben, Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung seien die besten Garanten, den Terrorismus auszutrocknen und langfristig Stabilität zu gewähren.

Doch die Reaktionen auf Bushs neuen, alten Idealismus sind, wen wundert es, zwiespältig und skeptisch. Noch vor wenigen Tagen sorgte er mit seinen Äußerungen zum Iran wieder einmal für Irritationen. Zu frisch ist die Erinnerung daran, wie seine Regierung 2002 die Drohkulisse gegenüber dem Irak aufbaute – mit den bekannten Folgen. Überdies haben die Antworten der designierten Minister Alberto Gonzales und Condoleezza Rice bei ihren Nominierungsanhörungen Zweifel daran nicht ausräumen können, dass die USA die viel beschworenen universellen Menschenrechte ernst nehmen und in Zukunft die Folter von Gefangenen uneingeschränkt ablehnen. So fragen sich Kommentatoren, ob man Bushs Rede überhaupt für bare Münze nehmen kann. „Es scheint unwahrscheinlich, dass der frisch gekürte Präsident sich großartig verändern wird, da seine Politik sich seiner Ansicht nach ausgezahlt hat“, meint die Washington Post.

Zudem kam die Vision, Demokratie und Menschenrechte zu verbreiten, unter Bush überwiegend in kriegerischem Gewand. „Heißt Freiheit verbreiten einen oder zwei weitere Irak?“, fragt E. J. Dionne vom Brookings Institute und nimmt damit tief sitzende Ängste vor allem in der arabischen und muslimischen Welt auf. „Es war eine Proklamation, die einem Kreuzzug gleichkommt“, meint der Historiker Thomas Cronin.

„Das gesteckte Ziel ist so weit reichend, dass von nun all unser Handeln nur noch hinter dieser Verpflichtung zurückbleiben und dann gegen uns verwendet werden kann“, kritisiert James B. Steinberg, der Bill Clinton in Sicherheitsfragen beriet. Dennoch begrüßt er, dass die Partei die Idee weltweiter gegenseitiger Abhängigkeiten, die von vielen Republikanern so lange zurückgewiesen wurde, nunmehr adoptiert hat. „Vielleicht überlegen wir uns nun genauer, ob wir weiter Diktatoren die Hände schütteln und mit Militärhilfe unterstützen sollen.“