Verhinderter Quantensprung

Eine Ausstellung in der Staats- und Universitätsbibliothek spürt anhand der Vita des Musikpublizisten, Regisseurs und Intendanten P. Walter Jacob jener „Verlorenen Generation“ nach, die zwischen Drittem Reich und Exil zerrieben wurde

Eine der langlebigsten Emigrationsbühnen in ArgentinienAntisemitismus in Deutschland auch nach der Rückkehr

Wie viel künstlerisches Potenzial durch den Nationalsozialismus verloren ging, lässt sich nicht in Zahlen messen, sondern nur exemplarisch an Einzelschicksalen ablesen. Der Opernregisseur, Musikpublizist, Schauspieler und Intendant P. Walter Jacob zählte zum Kreis junger jüdischer Künstler, deren viel versprechende Karrieren sich zu Beginn der 30er gerade an einem entscheidenden Punkt befanden und durch den Nationalsozialismus jäh unterbrochen wurden.

Die Ausstellung Zwischen Schönberg und Wagner – Musikerexil 1933–1949: Das Beispiel P. Walter Jacob zu dessen 100. Geburtstag in der Staats- und Universitätsbibliothek erinnert an diese „Lost Generation“. Im Zentrum steht der musikalische Werdegang Jacobs; in Bild- und Tondokumenten wird seine Arbeit vorgestellt. Nach Stationen an der Berliner Staatsoper Unter den Linden und verschiedenen städtischen Bühnen bedeutete die nationalsozialistische „Beurlaubung“ und die drohende Verhaftung für Jacob das Aus in Deutschland. Er emigrierte 1933 nach Amsterdam, später nach Paris, Luxemburg und in die Tschechoslowakei. Fünf Jahre später wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, und er ging nach Argentinien. 1940 gründete er in Buenos Aires die „Freie Deutsche Bühne“, die mit zehn Spielzeiten zu einer der langlebigsten Emigrationsbühnen wurde. Zudem veröffentlichte er musikkritische Schriften zur europäischen Kultur und versicherte sich schreibend seiner kulturellen Identität.

Jacob sammelte alles, was er zu Musik, Theater, Schauspiel, Literatur finden konnte – sein Nachlass umfasst Artikel, Programmhefte, Bühnenblätter und etliches mehr. Er hatte es sich zur Pflicht gemacht, das von den Nazis Verfemte zu bewahren. Doch er widmete sich auch Musikern, die sich mit dem Nazi-Regime arrangiert hatten oder von ihm vereinnahmt wurden. Mit seinem Buch zu Richard Wagner, dessen Werk er bewunderte, bemühte er sich, „Wagner und sein Werk aus dem Umfeld ‚Bayreuths‘ und der dortigen Pflege herauszulösen“, wie es der Germanistikprofessor Frithjof Trapp im Katalog formuliert.

1949 kehrte Jacob nach Deutschland zurück und übernahm die Intendanz der Städtischen Bühnen in Dortmund. Die Kritik seiner Freunde begleitete ihn dabei, denn die meisten konnten und wollten nicht so früh in das Land der Täter zurück. Doch Jacob versuchte seine Position zu nutzen: Er bemühte sich, die Dortmunder für Theater und Oper zu begeistern und griff bewusst Autoren und Komponisten auf, die im Dritten Reich verboten waren. Trotzdem musste er einsehen, dass das Gros der Deutschen sich nicht erinnern wollte. Außerdem war er für viele noch immer der Jude. Mehrfach erstattete er Anzeige wegen „antisemitischer Beleidigung“. Doch nach persönlichen Entschuldigungen zog er sie wieder zurück. Jacob versuchte, künstlerisch und politisch niemandem auf die Füße zu treten. Es gab keine Skandale, aber auch keine künstlerischen Quantensprünge. 1962 nahm er Abschied von seiner Intendantentätigkeit und widmete sich fortan der Schauspielerei.

Die Mitarbeiter des P. Walter Jacob Archivs in Hamburg haben für die Staats- und Universitätsbibliothek eine kleine, aber feine Ausstellung zusammengestellt. Exemplarisch wird an Hand des künstlerischen Allround-Talents nachgewiesen, welch immensen Verlust Verfolgung und Exil für das kulturelle Leben in Deutschland bedeuteten. Beatrice Wallis

Mo–Fr 9–21, Sa 10–18 Uhr, Staats- und Universitätsbibliothek, von Melle-Park 3; bis 19.2.