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Archiv-Artikel

Endlich geht’s los

Nach einer wenig ereignisreichen Woche bei den Australian Open in Melbourne kommt es im Viertelfinale zum Duell des Altmeisters Andre Agassi gegen den Weltranglistenersten Roger Federer

AUS MELBOURNE DORIS HENKEL

Andre Agassi reckte sich und deutete ganz weit nach oben; es fehlte nicht viel, und er wäre vom Stuhl gefallen. Beim Versuch, Joachim Johanssons Aufschlag zu beschreiben, hatte er fast so viel zu tun wie vorher beim Sieg gegen den jungen Schweden (6:7, 7:6, 7:6, 6:4). Johansson schlug 51 Asse in den zweieinhalb Stunden der Partie, mehr als je ein Spieler zuvor, doch selbst das reichte nicht gegen den taufrischen, hellwachen, blitzschnell reagierenden Agassi. Und der freut sich nun auf die größte Herausforderung, die es dieser Tage im Tennis geben kann: Dienstag im Viertelfinale der Australian Open gegen Roger Federer, die Nummer eins.

Agassi hat in seiner langen Zeit auf der Tour – immerhin befindet er sich im 20. Jahr seiner Karriere – unzählige Gegner und genauso viele Aufschläge kennen gelernt, aber selbst er wird nicht jeden Tag mit Geschossen wie denen von Johansson konfrontiert. Nicht so sehr wegen der Geschwindigkeit; der schnellste Aufschlag des Schweden kam mit 225 km/h daher, was im Vergleich zu Andy Roddicks Weltrekord (249 km/h) erträglich ist. Aber Johansson ist 1,98 lang und kann einen anderen Winkel nutzen als kleinere Spieler. „Das Problem ist die Flugbahn des Balles“, sagt Agassi, „und die ist außerordentlich lästig.“ Gemein geradezu. Aber wenn selbst 51 Asse in vier Sätzen nicht zum Sieg reichen, dann muss der Mann auf der anderen Seite mächtig in Form gewesen sein. Die Frage aller Fragen ist aber nun: Reicht die Form auch, um Roger Federer zu stoppen?

Der erledigte die Pflichtaufgabe gegen Marcos Baghdatis aus Zypern souverän (6:2, 6:2, 7:6) und zeigte dabei, dass er einiges aushalten kann. Zehn griechische Fans des Zyprioten machten auf den Rängen mit Trillerpfeiffen und schrillen Stimmen so viel Lärm, dass Federer darüber beinahe den Spielstand vergaß. Der einzige Moment, in dem er für den Bruchteil einer Sekunde seine gute Laune verlor, folgte erst in der Pressekonferenz, als er mit der Frage konfrontiert wurde, ob seine Form denn gut genug sei, um Agassi zu schlagen. „Ich weiß nicht, warum Sie das fragen“, entgegnete er, „das habe ich in der Vergangenheit doch bewiesen. Ich denke, er ist es, der sich steigern muss, nicht ich.“ Es gibt nicht ein einziges Argument, das dagegen spricht. Der Sieg gegen Baghdatis war der 25. in Serie, womit er einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt hat; die letzte Niederlage stammt vom 17. August vergangenen Jahres aus der zweiten Runde der Olympischen Spiele gegen den Tschechen Tomas Berdych. Seine letzte Niederlage gegen einen Spieler aus den Top Ten stammt aus dem Herbst 2003. Und von sieben Spielen gegen Agassi hat Federer die letzten vier gewonnen, das Letzte davon im Viertelfinale der US Open, einem Spiel bei Sturm und Donner über zwei Tage und fünf Sätze. „Roger spielt schon seit einer Weile das beste Tennis der Welt“, meint Agassi zu dieser Bilanz, „aber irgendjemand muss ihn früher oder später mal schlagen, oder?“ Und leistet sich ein feines Lächeln zu dieser rhetorischen Frage.

Nach einer vergleichsweise ereignislosen ersten Woche ist nun endlich Tempo im Turnier. Federers Kunstschüsse, Agassis Form und Johanssons Asse, auch Marat Safins bewundernswerte Selbstbeherrschung beim Versuch, den 28 Zentimeter kleineren Belgier Olivier Rochus zu besiegen (4:6, 7:6, 7:6, 7:6) und dabei einen von achtzehn Breakbällen zu nutzen – alles schöne Geschichten. Weniger hübsch war ein Zwischenfall aus der Partie von Lleyton Hewitt und Juan Ignacio Chela (6:2, 4:6, 6:1, 6:4). Nachdem Hewitt einen Fehler des Argentiniers über Gebühr gefeiert hatte, spuckte der beim Seitenwechsel in dessen Richtung. Hewitt berichtete später, Chela habe sich nach dem Spiel beim Handschlag am Netz dafür entschuldigt, und für ihn sei die Sache damit erledigt. Für Chela nicht ganz, denn dem wurde eine Strafe von 2.000 Dollar aufgebrummt.

Die Frauen benehmen sich da besser und sind gewohnt berechenbar. Fürs Viertelfinale haben sich die Russinnen Swetlana Kusnetsowa (Nr. 5 der Setzliste) und Maria Scharapowa (4), Amélie Mauresmo (2) und Serena Williams (7) qualifiziert. Doch Williams gewann erst gegen Nadja Petrowa, nachdem sie zum dritten Satz das Lätzchen-Röckchen-Teil ihres wie gewohnt neckischen Spielkostüms abgelegt hatte und schlicht in Hemd und Hose weiter spielte. Mit Striptease zum Erfolg – wenn das sooo einfach ist …