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Archiv-Artikel

„Wirtschaftspolitik ist kein Störfaktor“

Mit einem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung beleben die Gewerkschaften die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion neu. Leiter Gustav Horn will dem Keynesianismus ein neues Gesicht geben und in der Politikberatung mitmischen

INTERVIEW BEATE WILLMS

taz: Herr Horn, braucht Deutschland wirklich noch ein Wirtschaftsforschungsinstitut?

Gustav Horn: Nicht irgendein Wirtschaftsforschungsinstitut, sondern ein Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Diese Ausrichtung, die gesamtwirtschaftliche Forschung zu Beschäftigung, Wachstum und Inflation, ist in Deutschland stark unterbeleuchtet. Die Schwerpunkte werden woanders gesetzt. Dazu brauchen wir einen Kontrapunkt.

Gewerkschaftsintern wird IMK mit „Institut für Marxismus und Keynesianismus“ übersetzt. Finden Sie sich da wieder?

Das marxistische Standbein ist durchaus unterentwickelt.

Aber dafür ist das keynesianische umso stärker?

Ich vertrete einen Ansatz, der neukeynesianisch geprägt ist. Wir wollen uns mit Geld-, Finanz- und Lohnpolitik beschäftigen und damit, wie diese Beschäftigung, Wachstum und Inflation beeinflussen. Der Keynesianismus alter Prägung hilft uns dabei mit seinem gesamtwirtschaftlichen Blick, aber ihm fehlt die einzelwirtschaftliche Fundierung. Er geht davon aus, dass Preise und Löhne starr sind. Das sind sie aber nicht. Uns interessiert, wie flexibel sie sind und wie sie in die Modelle passen.

Warum spielt dieser Ansatz in Deutschland bislang kaum eine Rolle?

In der deutschen Wirtschaftswissenschaft ist die herrschende Philosophie eine neoklassische. die sich fast ausschließlich an der Angebotsseite orientiert. Wirtschaftspolitik ist da eher ein Störfaktor. Konjunkturbewegungen gelten als temporäre und nicht weiter zu beachtende Schwankungen – im Grund eher ein Problem für Statistiker als für Ökonomen. Wenn man so denkt, ist die Debatte natürlich sinnlos.

Trotzdem scheint es hierzulande eine Mehrheit für diese Meinung zu geben.

International ist das anders. Es ist ja auch verrückt: Strukturelle Veränderungen auf der Angebotsseite sind Programm der Bundesregierung, nicht erst seit Rot-Grün. Beschäftigung hat das nicht gebracht. Statt dessen haben die letzten Jahre gezeigt, welche Folgen eine konjunkturelle Krise haben kann. Da kann man sich doch nicht hinstellen und sagen, das sind Schwankungen, die interessieren uns nicht.

Sie wünschen sich eine aktivere Wirtschaftspolitik?

Wenn ich von dem Ansatz ausgehe, dass Wirtschaftspolitik mehr ist als ein Störfaktor, dann muss sie auch etwas tun. Dann hat auch die Geldpolitik eine Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung und kann sich nicht nur auf Inflation konzentrieren. Dann wird auch die Finanzpolitik relevant und die Lohnpolitik.

Das Lagerdenken ist hierzulande sehr ausgeprägt. Festigen Sie das mit Ihrer Fundamentalkritik an den Neoklassikern nicht noch?

Ich verneine nicht grundsätzlich, dass wir Angebotsprobleme haben – nehmen Sie nur den Vereinigungsprozess in Ostdeutschland. Dort gibt es Angebotsprobleme, und da helfen Heilmittel der Angebotspolitik. Ich habe keine grundsätzliche Abneigung gegen dieses Instrumentarium, ich halte es nur in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation in Deutschland, die eindeutig ein Problem der Binnennachfrage hat, nicht für angemessen. Insofern bin ich pragmatisch, sodass tiefe Gräben gar nicht erst entstehen müssen. Leider wird dieser Pragmatismus von der anderen Seite nicht so gepflegt. Mit einer gegenläufigen Meinung landet man schnell in einer Ecke.

Das dürfte Ihnen in Zukunft noch häufiger passieren. Immerhin klebt Ihnen nun das Label „gewerkschaftsnah“ an.

Dieses Etikett hatte ich auch schon beim DIW. Wenn wir interessante Ergebnisse haben und mit unseren Analysen und Prognosen Recht behalten, werden wir auch gefragt werden. Wir würden nur in der Versenkung verschwinden, wenn wir uns zum Sprachrohr der Gewerkschaften machten.

Können Sie denn unabhängig arbeiten?

Vollkommen. Die Hans-Böckler-Stiftung ist eine unabhängige Stiftung, und wir werden akademische Standards einhalten. Darauf möchte ich auch die Reputation des Instituts gründen.

Das IMK hat ein sehr begrenztes Budget. Kann es all diese Ansprüche erfüllen?

Im Gegensatz zu den großen Instituten haben wir eine sehr spezialisierte Aufgabenstellung. Und es ist nur gut, wenn wir uns auch nach Aufträgen von außen umgucken müssen. Das hält geistig beweglich, weil man so mit aktuellen Fragestellungen konfrontiert wird.

Und wo sehen Sie das IMK in zehn Jahren? Als Mitautorin des Gemeinschaftsgutachtens?

Mein Ziel ist, dass wir es bei den Leistungsindikatoren mit anderen Instituten aufnehmen können. Ich möchte beim wissenschaftlichen Output und bei der Politikberatung gleichziehen.