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Archiv-Artikel

Kanzlerrunde mit Nebenwirkungen

Heute marschieren wieder die Pharma-Chefs bei Gerhard Schröder auf. Sie wollen ihre teuersten Pillen vor Ulla Schmidts Preisbremsen retten. Und wissen, dass sie bald mächtige Unterstützung bekommen – von George Bush

BERLIN taz ■ Wenn US-Präsident George Bush Ende Februar zu Besuch nach Deutschland kommt, wird er mit Gerhard Schröder nicht nur über Iran und Irak, über das transatlantische Bündnis und den Krieg gegen den Terror sprechen. Der Präsident wird auch ein „ganz besonderes Thema im Gepäck haben: Sortis“, sagt Bruno Müller-Oerlinghausen, Chef der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Sortis ist das umsatzstärkste Arzneimittel der Welt. In Deutschland schlucken etwa 1,5 Millionen Menschen den Blutfettsenker vom US-Unternehmen Pfizer.

Bush, so erwarten es die deutschen Pharma-Beobachter, wird versuchen, dem deutschen Kanzler die deutsche Preisdämpfungspolitik auszutreiben. Davon ist Sortis längst nicht allein betroffen. Die Gesundheitsreform hat dafür gesorgt, dass nicht nur die Blutfettsenker, sondern auch andere umsatzstarke Medikamentengruppen so genannten Festbeträgen unterworfen werden. Eine Milliarde Euro im Jahr sollen dadurch ab 2007 eingespart werden – im Jahr 2005 dürften es erst einmal nur 400 Millionen Euro sein. Deshalb nennt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Festbeträge den „Beitrag“ der Pharmaindustrie zur Reform.

Festbeträge sind ein komplexer Mechanismus, der dafür sorgt, dass die Medikamente sich preislich an Obergrenzen ausrichten. Seit der Gesundheitsreform sind davon auch so genannte Schein-Innovationen betroffen. Das sind Medikamente, die von den Pharmafirmen zwar als innovativ, also patentgeschützt und somit beliebig teuer verkauft werden – aber eigentlich bloß eine minimale Veränderung zu bereits eingeführten Arzneien darstellen.

Die Bush-Regierung, der Pharmaindustrie stark verbunden, hat schon mehrfach durchblicken lassen, dass sie die deutschen Festbeträge für ein großes Übel hält. Schließlich ist nicht nur Deutschland ein wichtiger Markt – an den deutschen Preisen werden auch die Preise in Europa und vielen asiatischen Staaten ausgerichtet. Pfizer hat gegen die Preisbremse Klage eingereicht. Das Unternehmen meint, dass Sortis wirklich innovativ ist und deshalb zu Unrecht Opfer der Festbetragsregelung geworden ist. Nun sind die Festbeträge sowohl 2002 vom Bundesverfassungsgericht als auch 2004 vom Europäischen Gerichtshof abgesegnet worden.

Doch hat die Pharmabranche ein argumentatives Einfallstor: Innovativ, sagt der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA), ist doch zum Beispiel auch, was Nebenwirkungen reduziert. Die Pillenproduzenten wollen die Definition von „Innovation“ so verändern, dass ihre patentgeschützten Arzneien vor Festbeträgen bewahrt bleiben.

Beim Bundeskanzler hat die Frage, ob sich die Definition von Innovation ausweiten lässt, bereits gezündet. Sein Sprecher Béla Anda erklärt, der Kanzler werde mit einer kleinen Runde Pharmachefs heute Abend darüber beratschlagen, was „tatsächliche Innovationen“ sind. Das Treffen ist Teil der Selbstverpflichtung Schröders, sich regelmäßig mit den Belangen der Pharmaindustrie zu befassen.

Eingeladen ist neben Ulla Schmidt auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Seitens der Industrie kommen die Chefs von Schering und Boehringer sowie vermutlich von Astra Zeneca – nicht aber von Pfizer. Schering-Chef Hubertus Erlen hat jüngst erklärt, er sei von den bisherigen Runden beim Kanzler „enttäuscht“.

Die Pharmabranche ist in diesem Jahr besonders unter Druck: Der Patentschutz für eine ganze Reihe teurer Medikamente läuft aus, und dann werden dank der Konkurrenz die Preise fallen. Die Skandale um die tödlichen Rheumamittel – etwa „Vioxx“ – hat manchen Aktienkurs sinken lassen.

Doch die auch die deutsche Bundesregierung hat nichts zu verschenken: Selbst mit funktionierenden Festbeträgen werden die Arzneimittelausgaben dieses Jahr um etwa 13 Prozent – rund 2,5 Milliarden Euro – steigen. Da muss der Kanzler schauen, ob er eher seine Gesundheitsministerin und die deutschen Versicherten – oder die Pharmakonzerne noch einmal düpiert.

ULRIKE WINKELMANN