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Archiv-Artikel

Die weißen Schwarzen

RITUALMORDE Metili Mollel ist ein weißer Maasai. Und ein einsamer Junge. Draußen spielen kann er nicht, weil er seine helle Haut und seine Augen nicht der grellen Sonne aussetzen darf. Und weil ihm stets jemand auflauern könnte

Albinos in der Diskussion

Afrika-Festival: Die Lage der afrikanischen Albinos ist Thema beim heute beginnenden Afrika-Festival in Würzburg (www.africafestival.org). Organisiert in Partnerschaft mit der taz tritt dort der weltberühmte Musiker Salif Keita aus Mali, selbst Albino, am Pfingstmontag um 20 Uhr auf. Am selben Tag um 11 Uhr diskutiert Keita mit Sanon Fabéré, Präsident der Albino-Selbsthilfegruppe Anipa (Association National d’Integration des personnes albinos) aus Burkina Faso, und Alfred Naiburi, der in Tansania eine Klinik für Albinos betreut. taz-Redakteur Dominic Johnson moderiert die Diskussion.

VON MARC ENGELHARDT (DARESSALAM) UND ILONA EVELEENS (ARUSHA)

Die Trommeln schlagen dumpf, eine helle Stimme singt dazu. David Ntanga und seine zehnköpfige Tanzgruppe bewegen sich im Takt. Die Menge hält den Atem an, als die Truppe völlig synchron nach vorne springt. Die Musik erstirbt, Beifall brandet auf. Ein lang gezogener Pfiff aus einer der hinteren Reihen schmerzt in den Ohren. Ein paar hundert Menschen haben sich versammelt, um der Performance zuzusehen; Ntanga ist zufrieden. „Es gibt immer mehr Menschen, die uns zujubeln und sagen: Macht weiter so“, freut sich der Mittdreißiger in Jeans und kurzärmeligem Khakihemd. „Aber die Mehrheit glaubt immer noch, wir können nichts. Schließlich sind wir nur Albinos.“

„Albino Kulturbefreiungsfront“ nennt sich Ntangas Ensemble, und der Name ist Programm. Mit Tanz, Musik, Theater und Filmvorführungen tourt die Gruppe seit Wochen durch Tansania und Nachbarländer, tritt in Clubs und auf staubigen Dorfplätzen auf. „Wir wollen den Leuten zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind“, sagt Ntanga. „Für viele einfache Leute ist es das erste Mal, dass sie einen Albino bewusst ansehen und nicht einfach angeekelt wegschauen.“

Der Kampf um mehr Verständnis für ihr Anderssein ist in Tansania nicht nur eine Frage der Emanzipation, sondern des Überlebens. Vor rund einem Jahr begannen die ersten Ritualmorde, bei denen Albinos lebend Arme oder Beine abgehackt wurden. Andere wurden umgebracht, bevor man ihnen die Haut abzog. „Nach Sonnenuntergang bin ich nicht mehr auf der Straße unterwegs“, sagt Ntanga, der in einem der Armenviertel von Tansanias Drei-Millionen-Metropole Daressalam lebt.

Tansania gilt als das Land mit den meisten Albinos weltweit, schätzungsweise 200.000, wovon aber nur 4.000 registriert sind. Seit zwielichtige Wunderheiler die Parole ausgegeben haben, dass sie ihren Besitzer reich machen können, ist der Handel mit Albinokörperteilen ein Riesengeschäft. Die Polizei schätzt die Zahl der Morde auf mehr als 40. Ernest Kimayo glaubt aber, dass es wesentlich mehr sind, sie seien den Behörden bloß nie gemeldet worden. Auch er überlegt sich zweimal, wohin er geht. „Ich habe sogar Angst, tagsüber in ein Büro zu gehen oder Geschäftspartner zu treffen, weil ich nicht sicher sein kann, ob mich derjenige nicht an die Mörder verkaufen will“, sagt der Vorsitzende des tansanischen Albinoverbandes. An die schiefen Blicke, die schwarze Tansanier den bleichen Albinos zuwerfen, hat Kimayo sich gewöhnt. Auch dass Leute die Straßenseite wechseln, wenn er kommt, berührt ihn nicht mehr. „Als Kind wollten mich immer alle betatschen: Wenn wir die Haut anfassen, fließt sofort Blut heraus, haben die gesagt“, erinnert sich Kimayo. Doch Unverständnis und Diskriminierung sind das eine. „Es ging uns nie wirklich gut, aber so einen Horror wie jetzt haben wir noch nie erlebt.“

In seinem kleinen, stickigen Büro auf dem Gelände des Ocean Road Hospital, einem der größten Krankenhäuser der Stadt, sammelt Kimayo die Geschichten der Opfer. Besonders schlimm, sagt er, sei die Lage im Westen Tansanias, wo der Geisterglaube sehr verbreitet ist. Auffällig viele Tote gab es in den Dörfern am Victoriasee, weil Fischer Albinohaare in ihre Netze flechten und damit auf eine größere Ausbeute hoffen. Auch in den Minen der Region glaubt man, dass der Gebrauch von Albinokörperteilen Glück beim Schürfen bringt.

Esther Charles war erst zehn Jahre alt, als sie von einer Bande in der elterlichen Hütte in ihrem Heimatdorf Shilela aufgespürt wurde. Das fröhliche Mädchen mit dem weißen Haar und den empfindlichen Augen wurde brutal ermordet: mit Macheten regelrecht in Stücke geschnitten. Finger, Augen, Geschlechtsteile oder auch nur ein Stück Haut bringen den Mördern weit mehr Geld, als sie sonst in einem Monat verdienen können, weiß Kimayo.

Auftraggeber der grausamen Verfolger sind anerkannte Wunderheiler. Und die sind aus dem tansanischen Alltag nicht wegzudenken. „Unternehmer legen Albinoschädel auf ihre Goldmine, damit das Gold auf magische Weise an die Oberfläche steigt“, berichtet Kimayo. „Fischer benutzen Albinofleisch als Köder, weil sie glauben, dass die gefangenen Fische dann Gold im Bauch haben.“ Andere sind der Ansicht, dass sich ihre Krankheiten durch Albinokörperteile heilen lassen. Auf der Straße hört Kimayo ständig Getuschel.

Im winzigen Ort Kimnyak im Westen Tansanias, am Fuße des 4.600 Meter hohen Berges Meru, lebt der siebenjährige Metili Mollel bei seinen Großeltern. Er ist ein echter „weißer Maasai“ – ein Albinojunge aus dem ostafrikanischen Hirtenvolk. Bis zum vorigen Jahr war sein schlimmster Feind die Sonne, die seine Haut erbarmungslos verbrennt. Dann wollte sein Vater ihn umbringen, weil bei den Maasai Albinos als Inkarnation des Teufels gelten. Großvater Samuel Mollel rettete seinem Enkel das Leben und nahm ihn auf, obwohl die Familie nur von ein paar Kühen und Ziegen und etwas Maisanbau lebt. „Ich darf nicht alleine auf die Straße“, sagt der Junge. „Nicht mal zu den Nachbarn kann ich allein gehen.“ Auf der Straße wird er als „Zero Zero“ beschimpft – als Brut des Teufels. Noch versteht er diesen Schimpfnamen nicht, aber seine Großeltern wissen Bescheid. In der schönen, leeren Savannenlandschaft ist die Polizei weit entfernt, und Albinos sind schutzlos. „Eigentlich ist der Kleine nie alleine. Wir haben ihn auch gewarnt, Süßigkeiten von Fremden anzunehmen“, erzählt der Großvater.

Selbst die Schule stellt für Metili keinen sicheren Platz dar. „Meine Augen sind schlecht, ich kann oft nicht erkennen, was an der Tafel steht. Der Lehrer will, dass ich in eine Sonderschule gehe“, erzählt der Junge mit leiser Stimme. In ganz Tansania gibt es nur eine solche Sonderschule – in der weit entfernten Hauptstadt Daressalam. Metili setzt sich in den Schatten des Hauses. Er ist ein einsamer Junge. Draußen spielen ist gefährlich, weil die Sonne Hautkrebs verursacht und ihm Mörder auflauern könnten. Im Haus zu bleiben ist das Beste, aber es macht einen Gefangenen aus ihm.

Nicht weit von Kimnyak entfernt, in der Stadt Arusha, bereiten sich Albinos auf die Selbstverteidigung vor. „Ich habe die erste Anzahlung für eine Pistole geleistet“, erzählt Godson Mollel, Vorsitzender der Arusha-Abteilung der landesweiten Organisation Chama cha Albinos, die allerdings nur etwas mehr als 200 Mitglieder hat. Er ist mit dem kleinen Metili nicht verwandt – die meisten Maasai in der Arusha-Region heißen Mollel oder Leyser. Godson Mollel hat Angst. „Ich muss mich selbst schützen, weil die Behörden das nicht tun.“

Auftraggeber der grausamen Verfolger sind Wunderheiler. Und die sind aus dem Alltag nicht wegzudenken

Um seinen Waffenschein zu lesen, muss sich der 40-Jährige den Zettel ganz dicht vor die Augen halten. Die Frage, ob es nicht gefährlich ist, eine Waffe zu besitzen, wenn er kaum sehen kann, ist für ihn nicht relevant. „Ich habe Angst“, rechtfertigt er sich. „Tagsüber traue ich mich kaum auf die Straße, und abends schließe ich mich zu Hause ein. Eine Pistole verschafft mir Beruhigung.“

In seinem Innenstadtbüro kann er kaum Gäste empfangen. Es reicht gerade für einen Tisch und einen Stuhl. Durch das offene Fenster dringen Geräusche vom nahen Markt hinein – eine andere Welt. „Ich habe selten Spaß im Leben“, sagt Godson Mollel. „Vorige Woche erst ist ein Albino verblutet, während seine Angreifer ihm Beine, Penis und Hodensack abhackten. Dann rasierten sie ihm die Haare ab.“ Das Grab eines Albinos, der vor Kurzem in Arusha eines natürlichen Todes starb, musste zubetoniert werden. „Nur so kann seine Familie sicher sein, dass nachts nicht die Zauberer kommen, um die Leiche auszugraben“, erzählt Godson.

Es ist schwer, Verständnis für seine potenziellen Mörder aufzubringen. Und doch ist es das, was Al-Shaymaa Kwegyir in der fernen Hauptstadt Daressalam jeden Tag aufs Neue versucht. „Die Leute sind arm und ungebildet“, verteidigt die einzige Albinoparlamentarierin Tansanias diejenigen, die ihr und anderen Albinos nach dem Leben trachten. „Niemand hat ihnen je gesagt, dass wir ganz normale Menschen sind.“ Auch Kwegyir wurde als Kind gehänselt, „Niemand“ nannten ihre Mitschüler sie oder „Geist“. Jetzt wurde Kwegyir von Tansanias Präsident Jakaya Kikwete persönlich zur Parlamentsabgeordneten ernannt. „Als er mich angerufen hat, konnte ich kaum fassen, dass er denkt, dass ich genauso gut arbeiten kann wie ein normaler Mensch“, platzt es aus der langjährigen Aktivistin heraus. Die immer wieder gehörten Vorurteile haben Narben hinterlassen. „Wenn ich mich um einen Job beworben habe, wurde ich als Einzige nicht zu einem Gespräch eingeladen, weil die Arbeitgeber dachten: Die kann ohnehin nichts.“

Früher, sagt Kwegyir, seien Albinos oft schon nach der Geburt umgebracht worden. „Sie wurden ertränkt, oder man hat ihnen das Genick umgedreht. Ein Albinobaby galt als Fluch.“ Ihrer Mutter hat Kwegyir nie vergessen, dass sie ihr immer wieder versichert hat, wie sehr sie die Tochter liebt. „Sie hat gesagt, Gott hat mich so gewollt“, sagt Kwegyir, und ihre Augen werden feucht. „Das gibt mir bis heute die Kraft, durchs Land zu reisen und Aufklärung zu betreiben.“

Die Serie der Morde ist in jüngster Zeit abgeebbt. Dazu hat nach Ansicht der Abgeordneten auch beigetragen, dass die Regierung inzwischen zur Jagd auf die Albinomörder geblasen hat – mit dem Mittel der Denunziation. „Wir haben im ganzen Land Urnen und Wahlkabinen aufgestellt, und im Schutz der Anonymität konnten die Leute die Namen derer aufschreiben, die sie für schuldig halten.“ Kwegyir glaubt, dass mindestens vier Arten von Gangstern am Albinogeschäft mitverdienen. „Es gibt Scouts, die herausfinden, wo Albinos leben, es gibt die Mörder, dann diejenigen, die die Körperteile abtrennen und verkaufen, und schließlich gibt es noch die Kunden.“

Derzeit stellt die Regierung Listen aller Personen zusammen, die in eine dieser Kategorien fallen. Was genau mit den Verdächtigten geschehen soll, weiß Kwegyir nicht – schließlich gibt es auch in Tansania Gesetze, die die Strafverfolgung regeln. „Wir wollten den Mördern vor allem Angst machen, und das ist uns gelungen.“ Mehr als 200 Menschen wurden verhaftet, bestätigt Godson Mollel in Arusha – verurteilt wurde noch niemand.

Die Albino-Selbsthilfegruppen lassen nicht locker. Sie haben zusammen mit Menschenrechtsorganisationen Klage beim Obersten Gericht eingereicht, weil die Regierung Leben und Gesundheit von Albinos nicht schütze und damit die tansanische Verfassung verletze. Letzte Woche begannen die Anhörungen in der Sache.

Auf der Straße wird Metili als „Zero Zero“ beschimpft – als Brut des Teufels

Die Sensibilisierung der tansanischen Öffentlichkeit für die Albinos ist neu – wie auch die Aufmerksamkeit für die geheime Welt der Wunderheiler. Maimuna Ramadhani hat in Arusha ein winziges Geschäft, eingeklemmt zwischen einer Schneiderei und einem Friseursalon. Sie verkauft Kräuter gegen eine Vielzahl von Krankheiten und Beschwerden. Sie benutze keine Albinokörperteile, sagt sie, „nicht mal Blut von Tieren. Ich verarbeite bloß Pflanzen und Wurzeln. Ich bin eine Naturheilerin, kein Zauberer.“ Dennoch bietet auch sie ein Öl für die Stirn an, das Glück bringen soll.

„Ich glaube nicht, dass die tansanianischen Zauberer verantwortlich sind“, sagt sie zu den Morden und hat dafür eine professionelle Erklärung: „Man muss die Haut vom Fleisch trennen. Dazu braucht man Chemikalien, und die haben wir in Tansania genauso wenig wie Kenntnisse darüber.“ Die Regierung hat vorläufig allen Naturheilern und Zauberern die Arbeit verboten. Aber die Geschäfte gehen weiter wie früher.

Keiner scheint zu wissen, warum die Gewaltwelle gegen Albinos 2007 anfing. Godson Mollel glaubt, nigerianische TV-Filme sind schuld. Das sind Dramen voller Geister, Zauberer und Wunder. In Nigeria ist der Glaube, dass Albinos außerordentliche Kräfte besitzen, weit verbreitet. Sie werden oft eingeladen, um Segnungen auszusprechen, etwa beim Bezug eines neuen Hauses oder der Eröffnung eines neuen Betriebes. Dort ist ihr Anderssein positiv besetzt.

Die billig produzierten und verkauften nigerianischen Videos, als „Nollywood“ bekannt, sind in ganz Afrika verbreitet. „Die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwindet für dumme Menschen“, meint Godson Mollel. „Irgendwie muss es ein paar Menschen auf tödliche Gedanken gebracht haben.“ Auch der Aktivist Kimayo warnt: „Im Fernsehen laufen immer mehr nigerianische Serien und Filme, in denen Geisterheiler eine schier unbegrenzte Macht haben. Das stärkt natürlich die traditionell ohnehin schon mächtigen Heiler im Dorf.“

Dazu kommt die Gier. Am Anfang gruben die Beschaffer noch Leichen von Albinos auf Friedhöfen aus, um die Nachfrage zu bedienen. Als aber ein vollständiger Albinokörper bis zu 350.000 Euro einbrachte, schlossen sich überall im Land Kopfjäger der Hatz an. Auch in Kenia hat es die ersten Morde gegeben. In Burundi, wo am 19. Mai in der Stadt Ruyigi nahe der Grenze zu Tansania der erste Prozess wegen einer Serie von Albinomorden begann, hat der oberste Staatsanwalt der Grenzregion alle Albinos der Gegend in sein Haus einquartiert, das er wie eine Festung schützt. Den langen Marsch nach Ruyigi legen die meisten fernab der Hauptstraßen im Schutz der Dunkelheit zurück.