: Die Vision sieht „used“ aus
Es ist schwer was los in der selbst ernannten Modemetropole Berlin: Gleich acht Messen tummeln sich derzeit in der Hauptstadt. Schafft man den Übergang vom Hipnessfaktor zur Normalisierung?
VON KATRIN KRUSE
Es war wieder so weit. Menschen mit Rollkoffern steigen den Tunnel der so genannten Kanzler-U-Bahn am Potsdamer Platz hinab oder eilen in den Industriehallen der ehemaligen Siemens-Kabelwerke in Spandau herum. Modewochenende in Berlin, etwa 40.000 Fachbesucher, oder: Fashion-People, jede Zielgruppe hat einen anderen Look. Ganze acht Modemessen sind in der Stadt und zeigen die Spannweite von Urbanwear zu Gothic, von internationalem Modedesign bis zu den letzten Ausläufern des Berliner Trash. Und die Frage des Wochenendes: Ob es Berlin als Modestadt schaffen kann?
Möglich, dass man längst aus Gewohnheit fragt. Immerhin begleiten die Betrachtungen über das Modestadtpotenzial Berlins die Streetwearmesse „Bread and butter“ und die designerorientierte „Premium“, seit sie im Januar 2003 erstmals in Berlin stattfanden. Seither sind Aussteller- und Besucherzahlen kontinuierlich angestiegen, und längst hatte man die Modemetropole ausgerufen. Am vergangenen Wochenende nun, zur fünften Veranstaltung, steigerte sich die „Premium“ am Potsdamer Platz von anfangs 70 auf 430 Aussteller, die „Bread and butter“ in Spandau von 250 auf 650. Als dritte große Messe kam erstmals die „B-in-Berlin“ dazu, die das mittlere Marktsegment vertritt.
Es ist normaler geworden, zum Modebusiness nach Berlin zu kommen – und genau daran entzündet sich die Frage nach der Modestadt erneut. Wenn Warenhausmarken von der „vibrierenden Metropole“ sprechen, will eine Messe wie die „Bread and butter“, die ihre Zielgruppe als „die Hipsten, die sich am schnellsten bewegen“ beschreibt, wohl am liebsten abreisen. Das jedenfalls wird man tun. Ab Sommer schicken die Initiatoren Karl-Heinz Müller, Wolfgang Ahlers und Kristyan Geyr die „Bread and butter“ auf Tour durch Europa, erste Station: Barcelona. Die Veranstaltung in Berlin soll bleiben, voraussichtlich kleiner, nationaler orientiert. Was das für die anderen Messen bedeutet, ob man den verschobenen Termin koordinieren kann und vor allem, welches Signal die Entscheidung für den Modestandort setzt: Die Sorge um Berlin ist um eine Facette reicher.
In den Hallen der „Bread and butter“ ist es erstaunlich übersichtlich: die Stände niedriger, die Sicht frei, die Eigendekoration minimiert. Noch immer bauen die Major-Brands ihre Markenwelten auf, doch die Festungen der letzten Saison gibt es nicht mehr. Einzig hier und da Steinstufen rahmende Säulen. Die Tendenzen im Urbanwear liest man an den Besuchern ab, die zu 60 Prozent aus dem Ausland kommen. Verschiedene Länder, ein Look. Die Jeans: „Washed“ ist an den Nähten bleicheweiß, die hinteren Taschen haben Klappen und Knopf oder Reißverschluss. „Used“ lässt die Taschenziernaht, gern in mittelbraun, als Muster über die ganze Hose laufen. Die Risse befinden sich kurz über den Fersen, man trägt ein bedrucktes Nadelstreifenjackett dazu. Oder ein wenig Tweed und Schirmmütze. Nicht zu vergessen den dicken Schal.
Verfeinerung, das ist auch im Urbanwear die Konzentration aufs Detail. In der „Superior Area“ zeigt die Marke Diamond Jeans, wie man die Hosenpreise über die Dreitausendergrenze katapultiert: Die Knöpfe sind vergoldet und diamantbesetzt; die Hosen mit rotem Samt und Goldschrift barockisiert. Für die Leibhöhe der Hosen gilt auch hier: vorne tief, hinten etwas höher. Selten ist ein Reißverschluss länger als vier Zentimeter.
Die Womenswearmesse „Milk and Honey“, die erstmalig parallel zur „Bread and butter“ in einer eigenen Halle stattfindet, überrascht durch roten Teppich und Geruch. Ein Aroma-DJ ist am Werk, ein Hauch von Schuhpolitur das Ergebnis. Die meisten der 80 Labels, die in der „Ladies-World“ zeigen, wären in Hallen wie der „Street Couture“ oder der „Superior Area“ ebenso gut untergebracht.
Zuerst knarrt der Laufsteg bei jedem Schritt, vom Band. Das Berliner Label Pulver zeigt mit der „Scarlett“-Kollektion in der tschechischen Botschaft eine der schönsten Schauen des Wochenendes. Knielang schwingende Röcke mit Blaudruck, die stoffüberzogenen Knöpfe sind wie eine schwere Kette auf die Bluse genäht. Korallenfarbene, im Bund geraffte Röcke, schmale, gegürtete Jacken dazu. Das leicht wehende Ensemble aus puderpinker Crêpe Georgette, der schmalgerade Mantel aus festem, schwarzen Tuch. Auf dem Stand im Zelt der „Premium“ ist die Kollektion zu sehen.
Im Zelt der „Premium“ sind auch die Skandinavier zu finden, Nanso, Malene Birger und Baum und Pferdgarten. Mit ihren proportionsverzogenen, großknöpfigen, rundkrägigen Kollektionen haben sie immer etwas Kindliches, und dann kommt mit gemustertem Chiffon, kleinen Knopfperlen und Pailletten die Romantik dazu. Im Tunnel der Kanzler-U-Bahn U 5 läuft Musik, zu sehen ist ein „urbaner Mix“. Das könnte auch die „Bread and butter“ sein, so denkt man bisweilen, während man dort, an den Entwürfen skandinavischer Modemacher nestelnd, an die „Premium“ erinnert ist. Je größer die Veranstaltungen werden, desto mehr Überschneidungen gibt es. Ab der nächsten Saison soll auf der „Premium“ eine weitere Halle hinzukommen: für Streetwear und Urbanwear.
Was die Veranstalter unterscheidet, ist die Haltung zu Berlin. Die „Bread and butter“ begegnet der Aufregung um Barcelona mit der Versicherung, Berlin sei „nach wie vor spannend“. Dass es die Stadt „unspannender“ mache, wenn jetzt die „late followers“ kommen, hat man allerdings auch gesagt. Die „Bread and butter“, so die Logik der Veranstalter, muss sich bewegen, damit sie bleiben kann, was sie ist: erfolgreich.
„Wir stehen hinter Berlin“, sagen hingegen die „Premium“-Organisatoren Norbert Tillmann und Anita Bachelin. Zum Auftakt des Wochenendes, der Ladeneröffnung des Berliner Labels Firma, hat man demonstrativ Gerald Beck von der „B-in-Berlin“ dazugebeten. Schulterschluss in Sachen Modestadt. „Wir haben eine Vision gehabt“, sagt Anita Bachelin. Jetzt gelte es, Professionalität und Seriosität zu zeigen: „Berlin ist noch nicht im Zenit angekommen.“ Die Prognosen gehen weiter.