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Archiv-Artikel

Akademie der Helden

Helfer in der Not werden immer und überall gebraucht, weltweit. Aber nur in Köln gibt es den Studiengang „Rescue Engineering“. Ein Besuch an der Uni der Katastrophenschützer

VON PATRICK BAUER

Für einen kurzen Moment dachte Jan daran, einfach in den nächsten Flieger zu springen. In die von der Flutkatastrophe in Asien betroffenen Regionen zu eilen und zu helfen. Immerhin hatte er im Zivildienst als Rettungsassistent gelernt, was es heißt, schnell für andere da zu sein. Der 22-Jährige studiert „Rescue Engineering“ an der Fachhochschule Köln – ein Bachelor-Studiengang, der weltweit einmalig ist.

Seit 2002 werden pro Jahr 60 Studenten im Bereich „Rettungswesen und Katastrophenschutz“ ausgebildet. Es geht um Krisenmanagement, aber nicht zwingend um den spektakulären Hilfseinsatz. Das kann Dr. Alex Lechneuthner nicht oft genug betonen. Der Mitinitiator des Studiengangs sitzt im seinem Büro im vierten Stock des Betonklotzes der FH und stellt klar: „Wir bereiten Studenten auf mittleres oder oberes Management im Rettungswesen vor. Dazu gehört Technisches, Organisatorisches, Juristisches, aber auch BWL.“ Helden würde man hier vergeblich suchen, das Studium sei eine „gaaanz“, er zieht das Wort extrem in die Länge, „komplexe, theoretische Angelegenheit“.

Konzepte für die Krise

Die Studierenden haben langjährige Erfahrungen im Rettungsdienst und suchen nun nach einer Möglichkeit, „nicht im Rettungswagen zu versauern“, wie Lechneuthner sagt. Ungern spekuliert er über konkrete Einsatzgebiete der kommenden Absolventen, denn: „Krise hat vor allem mit Organisation und mit Konzepten zu tun.“ Der Bedarf nach hoch qualifizierten Rettungsingenieuren sei immens.

Früher war Lechneuthner Chirurg, seit 1994 ist er hauptamtlicher Leiter des Kölner Rettungsdienstes. „Ich hatte irgendwann keinen Bock mehr, meinen Leuten zu sagen: das geht so nicht, und sie machen es trotzdem immer wieder falsch“, seufzt Lechneuthner: „Hier wird niemand auf die Arbeit in einem Lazarett in Uganda vorbereitet. Auslandseinsätze sind bloß Logistik. Ob ich nun Computer oder Care-Pakete liefere – wichtig ist, wie ich das regle.“ Lechneuthner macht es mit seinen Händen auf dem Schreibtisch vor, die Kaffeetassen wackeln: Er hat soundso viele Hubschrauber zur Verfügung, kann soundso viel Personal einsetzen und hat soundso viele Opfer.

Katastrophen finden in den gebohnerten Gängen des „Instituts für Anlagen- und Verfahrenstechnik“ entweder auf dem Papier oder in Übungen statt. Aber jede Einsatzsimulation wird irgendwann Realität. Lechneuthner reiste im März 2004 nach Madrid, um dort die Rettungsarbeit nach dem verheerenden Bombenanschlag zu verfolgen. Vier Wochen später explodierte in Köln eine Nagelbombe. „Aber sehen Sie“, sagt Lechneuthner, „was für Sie vielleicht aufregend ist, das ist für uns Betriebsalltag. Die Studenten haben bereits genug Blut gesehen.“

Die junge Frau, die vor dem Hörsaal wartet, hat bei der freiwilligen Feuerwehr schon Schlimmes erlebt. Vielleicht sagt sie deshalb: „Ich möchte in den gehobeneren Dienst und nicht mehr wie die anderen rumkriechen.“ Sie stockt, immerhin war das stets der Grund für ihr Engagement: nah bei den Menschen zu sein. Das Studium sei auch keine Flucht vor der Praxis, sondern der nächste große Schritt. Nun kümmere sie sich zwar nicht mehr um einzelne Opfer, dafür aber um das Schicksal von vielen. Weniger schweißtreibend sei das ganz sicher nicht.

Häuptling und Indianer

Ein anderer Student drückt es so aus: „Wir sind später mehr Häuptling als Indianer.“ Was dieses Bild schon verrät: Der Katastrophenschutz ist eine Männerdomäne. Später, in der Vorlesung bei Dr. Lechneuthner, sitzt eine Frau unter vielen Männern. Unter sehr engagierten Männern. „Etablierte Studienfächer greifen auf jahrhundertealte Erkenntnisse zurück, wir stehen ganz am Anfang und da sind alle sehr bemüht, Lösungen und Wege zu finden“, erklärt Lechneuthner.

So ist jede Krise auch eine Chance, es besser zu machen. Heute werden Großeinsatz-Übungen besprochen. An der Tafel stehen Vortragende, die routiniert von „überflüssigen Fahrzeugen der BF im BHP“ oder „T1-Patienten im T2-Zelt“ sprechen. In einem der Referate geht es um einen Statisten, der einen Schwerverletzten mimte und zu lange unbehandelt in einem kalten Zelt lag. „Der ist halb erfroren, ich musste ihn für tot erklären. Um ihn zu erlösen“, sagt der Referent und im engen Vorlesungssaal wird laut gelacht, es wird aber auch deutlich: Es geht um Menschenleben, auch wenn jeder Tote nur ein Kreuz auf einer Liste oder der Anlass für neue Verteilung der Ressourcen ist.

Die Verantwortung ist groß. Wer einmal im Einsatz schwerste Blutungen gestoppt oder Opfer wiederbelebt hat, der kann damit umgehen, sagen die Studenten. Es klingt trotzig und so, als würden sie solche Gedanken lieber verdrängen. Schließlich müssen sie später diejenigen sein, die Ruhe bewahren, wenn alle anderen unter Schock stehen. Sie werden unbeeindruckt von Leichen und Not Rettungspläne entwerfen müssen. Berufszynismus kann dabei natürlich die nötige Distanz bewahren.

Andererseits weiß jeder der jungen Rettungsingenieure, wie es aussieht, wenn „die Gliedmaßen von der Straße aufgesammelt werden“, wie es einer von ihnen nennt. Für Führungskräfte im Rettungswesen wird es nicht nur darauf ankommen, sich selbst und die Mitarbeiter auf solche traumatischen Erlebnisse vorzubereiten – sondern auch zu wissen, wie Opfer sich verhalten.

Den Horror verkraften können

Lange galt im Rettungswesen: Einsatzkräfte müssen wegstecken können. Heute geht es auch darum, über Erlebtes zu sprechen. Elke Eyckmanns, die Seminare über Massenpsychologie und Führungsarbeit leitet, berichtet von etlichen Zweiergesprächen, in denen die Studenten über eigene Ängste und Sorgen reden: „Viele junge Männer sagen dann: ‚So stark sind wir gar nicht.‘“

„Man muss wohl für diesen Beruf geschaffen sein“, sagt Steve, als er nach der Vorlesung eine Zigarette raucht. Mit seinen langen Haaren, dem Zottelbart und den Sandalen wirkt er eher wie das Klischee eines Bummelstudenten. Aber seine Laufbahn als Sanitäter ist so beeindruckend zielstrebig wie die seiner Mitstudierenden: Mit zwölf Jahren ging er zum Roten Kreuz, mit fünfzehn in den Katastrophenschutz und danach absolvierte er seinen Zivildienst. Schon möglich, sagt er, dass man dazu eine soziale Veranlagung brauche, dass man von einer Rettungs-Leidenschaft getrieben sei, er jedenfalls könne nicht mehr ohne Einsätze. Deswegen fährt er, wie so viele, neben dem Studium noch im Krankenwagen mit. „Aber das hat mir irgendwann nicht mehr gereicht.“

Was Steve meint, wenn er davon spricht, als Rettungsingenieur das „große Ganze“ betrachten zu wollen, zeigt sich, wenn er anfängt, über die großen Probleme zu reden. Über die vielen Quereinsteiger oder über den Föderalismus, der so vieles behindere. „Oft klappt die Zusammenarbeit zwischen EU-Staaten besser als zwischen Landkreisen.“ Dabei sei bei Schadensereignissen, ob nun ein Haus brennt oder ein ICE entgleist ist, einheitliches Vorgehen wichtig. „Das sieht man jetzt auch wieder bei der Flut in Asien.“

Flut als Studienobjekt

Die Flutwelle ist für die Studierenden hier ein hochinteressantes Anschauungsobjekt. Steve zögert, ob er das jetzt so sagen soll: „Bei der Arbeit dort mangelt es eklatant an Koordination. Vieles ist gut gemeint, läuft aber schief. Es müsste eine Hand organisieren! Ich bin deswegen froh, zu wissen, dass so ein Einsatz in zehn Jahren besser laufen wird, weil wir hier daran arbeiten.“ Er könnte sich gut vorstellen, einmal Auslandseinsätze zu leiten, zu managen – wobei das immer ein wenig nach Humankapital klingt, nach einem Unwort also. Und eines will sich Steve nicht vorwerfen lassen: abgebrüht zu sein.

Die Fünftsemestler, die in der verlärmten Cafeteria sitzen, werden in diesem Sommer die Ersten sein, die mit dem „Rescue Engineering“-Abschluss in den Beruf gehen. Das Spannende sei ja, sagt Jens, „dass es für uns viel zu verändern gibt“. Jede Krise sei ein chaotisches Ereignis und vor allem ein dynamischer Prozess. Die Herausforderung bestehe für ihn darin, „einen Einsatz so zu planen, dass er flexibel ist und nicht nur auf bestehenden Konzepten basiert“. Genau da liege ja der Unterschied zwischen studierten und ehrenamtlichen Helfern, sagt der Student Jens, dass aus ihren Reihen niemand in das nächste Flugzeug gestiegen sei, allen Reflexen zum Trotz.

Auch Jan hat seinem ersten Impuls widerstanden und ist in Köln geblieben, statt vor Ort in Asien zu helfen: „Solche übereilten Reaktionen muss man ausschalten. Wenn überhaupt, dann müsste man dort zu Studienzwecken hinfliegen: „Um zu gucken und planen.“

Eines hat er in den ersten Semestern gelernt: Koordination ist alles. Ohne konkreten Plan in ein Krisengebiet zu fliegen, das wäre zwar lobenswert. Aber es wäre auch ineffizient.