: Der Leitbegriff des guten Lebens
UMWELTSCHUTZ In Ecuador und Bolivien geht es, nicht ohne Holpern, in Richtung Ökosozialismus
Boliviens Präsident Evo Morales vor der UN-Vollversammlung
VON GERHARD DILGER
Ende April wurde Ecuadors linker Präsident Rafael Correa nach gut zwei Jahren im Amt mit absoluter Mehrheit wiedergewählt – bemerkenswert in einem Land, wo es von 1996 bis 2005 nicht weniger als zehn Regierungswechsel gab. Sein indigener Kollege Evo Morales, der Bolivien bereits seit Januar 2006 regiert, dürfte dieses Kunststück im Dezember wiederholen. Beide Politiker verdanken ihren Aufstieg zur Macht persönlichem Verhandlungsgeschick und Charisma, vor allem jedoch der jahrelangen Mobilisierung sozialer Bewegungen, die die neoliberalen Vorgängerregime zermürbten. Und beiden gelang es, den Staatsanteil an Erdöl- und Erdgaseinnahmen zu vervielfachen. Einen spürbaren Teil davon steckten sie in Sozialprogramme zugunsten der Armen, vor allem in Bildung und Gesundheit.
In Bolivien stellen die Indígenas zwei Drittel der Bevölkerung, in Ecuador etwa ein Drittel. In beiden Ländern wird das politische und wirtschaftliche System gründlich umgemodelt. „Demokratische und kulturelle Revolution“ nennt das Morales, in Ecuador ist von „Bürgerrevolution“ die Rede. Beide Staatschefs stärken den Staat, beide reden gerne von Sozialismus. Wie der aussehen könnte, bleibt nebulös, aber weder in Ecuador noch in Bolivien steht eine Neuauflage der undemokratischen, staatskapitalistischen Systeme aus dem vergangenen Jahrhundert auf der Tagesordnung. Einen wichtigen Unterschied, der schon bald über die weitere Richtung der Reformprozesse entscheiden könnte, gibt es allerdings. Wenn Evo Morales versichert, „ich regiere und gehorche dabei dem Volk“, ist das keine wohlfeile Phrase. Der ehemalige Kokabauern-Gewerkschafter macht keine Anstalten, sich von seiner Basis abzunabeln, im Gegenteil: Bei seinen Auseinandersetzungen mit der rechten Opposition appelliert er in den kritischsten Momenten erfolgreich an den Druck der Straße.
Ganz anders der Ökonom Correa, der aus der weißen Mittelschicht stammt. Bereits vor seiner ersten Wahl 2006 gelang ihm kein Bündnis mit den indigenen Bewegungen, die mit ihren Protesten ein Freihandelsabkommen mit den USA verhindert hatten. Doch trotz vieler Reibereien unterstützten die organisierten Ureinwohner die „Bürgerrevolution“ grundsätzlich. Zum Bruch kam es im Januar, als Correa im Schnellverfahren ein Bergbaugesetz durchsetzte, das der weiteren Ausplünderung von Gold, Kupfer und anderen Bodenschätzen durch Privatfirmen den Weg ebnet. Das Gesetz steht im Widerspruch zum Geist der neuen Verfassung, die Mitte 2008 verabschiedet und dann von 64 Prozent der EcuadorianerInnen angenommen wurde. Für Correa war das Grundgesetz vor allem machtpolitischer Baustein zur Stabilisierung des politischen Systems – für seinen ehemaligen Weggefährten Alberto Acosta, der den Verfassungskonvent fast bis zum Schluss leitete, ging es hingegen um den Rahmen für ein neues, ökosoziales Entwicklungsmodell.
Der Leitbegriff des „guten Lebens“, auf Quechua sumak kawsay, geht auf die Weltsicht der Indígenas zurück. Er wendet sich gegen die extreme Fixierung auf das Materielle und betont das harmonische Zusammenleben zwischen Mensch und Natur, die im Verfassungstext auch als Pachamama bezeichnet wird. „Das ist ein enormer Schritt“, schwärmt der Ökologe Eduardo Gudynas aus Uruguay, „man beschränkt sich nicht mehr auf die westliche Konzeption von Umwelt und schafft die Möglichkeit zum Bruch mit dem Programm der Moderne, das ja die aktuelle Umweltkrise verursacht hat.“ In dem Grundgesetz werden erstmals weltweit die Rechte der Natur verankert. Gudynas nennt das die „biozentrische Wende“. Oder, wie Evo Morales vor wenigen Wochen vor der UN-Vollversammlung sagte: „Das 21. Jahrhundert wird als das Jahrhundert der Rechte von Mutter Erde, der Tiere, der Pflanzen in die Geschichtsbücher eingehen.“ Dann regte er die Ausarbeitung einer Allgemeinen Erklärung der Naturrechte an.
Rafael Correa wirbt seit zwei Jahren für den revolutionären Vorschlag, auf die Erdölförderung in einem Teil des Amazonas-Nationalparks Yasuní zu verzichten – wenn die internationale Gemeinschaft im Gegenzug für die Hälfte der zu erwartenden Einnahmen aufkommt. Es wäre ein Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt und der dort lebenden indigenen Völker, gegen den Treibhauseffekt und für die Klimagerechtigkeit zwischen Nord und Süd. Alberto Acosta, einer der Väter der Idee, erhofft sich davon einen „Einstieg ins Post-Erdöl-Zeitalter“. Das ecuadorianische Regierungsprojekt, nach den Ölfeldern Ishpingo, Tambococha und Tiputini ITT-Initiative genannt, wurde in Europa wohlwollend aufgenommen. Deutschland und Spanien haben Machbarkeitsstudien finanziert. Wegen der Unterstützung durch Bundestag und Bundesregierung ließ Correa im Februar sogar sein immer wieder verlängertes Ultimatum fallen, er werde beim Scheitern der Initiative das Gebiet zur Ölförderung freigeben. Doch natürlich sprudeln die erhofften Klimamillionen immer noch nicht, zumal die Umsetzung ungeklärt ist und Correa immer wieder zwiespältige Signale aussendet: Wegen der Folgen der Finanzkrise und niedriger Erdölpreise wird auch in Ecuador das Haushaltsloch größer und damit die Versuchung, die enormen ITT-Ölreserven doch noch anzuzapfen.
Konflikte um Ölförderung und riesige Bergbauprojekte in Indianergebieten gibt es in allen Andenländern. Im neoliberal regierten Peru kommt es immer wieder zu wochenlangen Protesten, auf die die Regierung mit Repression antwortet. Doch auch sämtliche rosaroten Regierungen, allen voran die brasilianische, wollen Wachstum um jeden Preis. Petroandina, eine Tochter der bolivianischen und venezolanischen Staatsbetriebe YPFB und PDVSA, will in Boliviens Amazonasgebiet nach Öl bohren. Umweltpolitisch habe die Regierung Morales wenig vorzuweisen, sagt Elizabeth López vom Bolivianischen Forum für Umwelt und Entwicklung (Fobomade): „Der Sozialertrag aus dem Rohstoffexport ist ja ihr wichtigstes Anliegen, ansonsten macht sie ganz klassisch auf Schadensbegrenzung.“ Für Esperanza Martínez von der Umwelt-NGO Acción Ecológica in Quito sind die Bedingungen grüner Politik dennoch in Bolivien günstiger als in Ecuador: „Evo Morales ist viel vorsichtiger als Correa, und das Gewicht der indigenen Bewegungen ist größer.“