: Tausend Hügel begrünen
INNOVATION Ruanda gehört zu den Ländern mit dem kleinsten ökologischen Fußabdruck, obwohl die Wirtschaft wächst
AUS KIGALI MARC ENGELHARDT
Als „Land der tausend Hügel“ war Ruanda einst bekannt. Wer heute aus der Hauptstadt Kigali hinausfährt, findet jedoch von der einstigen grünen Kulturlandschaft nicht mehr viel vor. Ganze Abhänge sind abgerutscht, die rotbraune Erde ist nackt und unbewachsen. Am Fuß der Hügel wälzen sich schlammige Fluten, gesättigt vom einstigen Ackerland. Erosion ist eines der größten Umweltprobleme in einer der kleinsten Nationen Afrikas.
Neun Millionen Menschen leben hier auf einer Fläche von der Größe Belgiens; fast alle sind Kleinbauern. Brandrodung, Abholzung und Überbewirtschaftung laugen das Land aus. Und dabei steigt die Bevölkerungsdichte rasant. In zwanzig Jahren, so sagen die Demoskopen voraus, wird die Bevölkerung sich verdoppelt haben.
Kaum zu glauben, dass das Land eine ökologische Vorzeigenation sein soll. Doch genau das wird Ruanda vom Global Footprint Network bescheinigt, das jährlich den „Ökologischen Fußabdruck“, also den Umweltverbrauch aller Länder, misst. In Ruanda liegt der bei 0,7 und damit deutlich unter dem, was die Bevölkerung an Umweltverbrauch für sich beanspruchen dürfte. 1,0 ist dieser Idealwert, Deutschland etwa liegt mit 4,2 deutlich darüber; die gesamte Erde hat einen Fußabdruck von 2,23 – das bedeutet, mehr als zwei Planeten wären nötig, um die derzeitige Naturzerstörung auszugleichen.
Dass Ruanda als eines der ärmsten Länder der Erde einen niedrigen Fußabdruck hat, ist noch nicht überraschend – dass dieser Fußabdruck aber seit Jahren kleiner wird, obwohl die Wirtschaft wächst, doch. Welches Geheimnis hat Ruanda, das andere Länder nicht haben?
Entschlossenheit, sagt Ruandas Präsident Paul Kagame. „Afrikas Wirtschaftswachstum hängt direkt von Landwirtschaft, Tourismus, Fischerei und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen ab. All das ist nur mit einem effektiven Umweltmanagement möglich.“ Bei einem Finanzgipfel in Kigali warf Kagame den afrikanischen Regierenden jüngst in brüskem Tonfall vor, in Umweltfragen immer in Verzug zu sein: „Unser generelles Problem in Afrika ist die Umsetzung.“
Wer den Mund so voll nimmt, muss zu Hause Erfolge vorweisen können: Dazu gehören in Ruanda etwa die Programme für Aufforstung und Terrassierung, die die Nationale Umweltbehörde REMA im ganzen Land vorantreibt. Inzwischen stammen nach REMA-Angaben bereits achtzig Prozent des in Ruanda verbrauchten Holzes aus einheimischen, nachwachsenden Plantagen.
Eine weitere Kernfrage lautet: Wie kann der Energiebedarf eines Landes gedeckt werden, das innerhalb von zehn Jahren ein Drittel der Bevölkerung ans Stromnetz anschließen will – derzeit sind es gerade einmal sechs Prozent – und auf weitere Industrialisierung baut?
Die Antwort gibt Eva Paul. Die ehemalige Mitarbeiterin der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) gehört zu der großen ausländischen Community, die im Infrastrukturministerium in Kigali arbeitet. Diese Spezialisten sollen dem Land helfen, bis 2020 ökologisch nachhaltig vom Entwicklungs- zum Schwellenland aufzusteigen.
„Seit November vergangenen Jahres pumpen wir Methan aus dem Kivu-See in einen schwimmenden Generator“, erklärt Eva Paul in ihrem Büro im Regierungsviertel. In der Tiefe des Kivu-Sees an der Grenze zum Kongo liegen Methan-Vorkommen, die für mehr als 50 Jahre ausreichen könnten. „Im Moment werden vom Kivu-See aus zwei Megawatt ins Netz eingespeist“, so Paul. „Gerade haben wir einen Vertrag mit der amerikanischen Firma Contour Global unterschrieben, die die Leistung bis Ende kommenden Jahres auf 100 Megawatt erhöhen wird.“ 100 Megawatt – das ist fast doppelt so viel wie Ruandas derzeitige Gesamtleistung. Ein Konsortium, an dem der Aga Khan beteiligt ist, verhandelt in diesen Monaten über die Lizenz, weitere 100 Megawatt Strom zu erzeugen. „Ein südafrikanischer Investor will aus dem Methan 1.000 Barrel Treibstoff pro Tag erzeugen, und wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die die Herstellung von Kunstdünger aus Methan prüft“, so Paul.
Afrikas größte Solaranlage, nur eine halbe Stunde Fahrt von Kigali entfernt auf einem Hügel gelegen, ist ein Prototyp für Insellösungen. „Solarenergie ist zu teuer, um sie ins Netz einzuspeisen“, so Paul. In einem extra Programm werden derzeit Schulen und Krankenhäuser mit Solarzellen ausgestattet. Dem gleichen Zweck dienen die 15.000 Biogasanlagen, die derzeit mit Unterstützung der GTZ vor allem an Latrinen von Kleinbauern installiert werden. „Die Familien kochen mit Biogas statt mit Feuerholz, das schont die Ressourcen“, erklärt Koordinator Gerard Hendriksen. Ressourcenarmut, so scheint es, macht – zumindest im Falle Ruanda – erfinderisch.