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Archiv-Artikel

Good Vibrations in der Wohlfühl-Halle

Firmen schlagen auch auf der Grünen Woche Kapital aus dem Wellness-Wahn. In einer eigenen Halle geht es nur um das Thema Wohlfühlen – dabei helfen sollen zum Beispiel Massageliegen oder motorisierte Nothammer. Wie sich verspannte BerlinerInnen in der Entspannungshalle stressen

„Der Wellness-Begriff ist im Bewusstsein der Bevölkerung fest verankert. 95 Prozent der Bundesbürger verbinden etwas mit Wellness. Über 50 Prozent der Deutschen sind bereit, bis zu 25 Euro pro Monat für Wellness auszugeben.“ Pressetext Grüne Woche.

Sich hier wohl zu fühlen ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Die Erkenntnis ist banal und ereilt die BesucherInnen der Messehalle 26b nach wenigen Minuten. Noch mehr Leute als in den anderen Hallen drängen sich hier, die Luft ist heiß, abgestanden und durchsetzt mit Sandelholzaromen und Frittierfett. Was also ist hier das Besondere? In dieser Extrahalle „Wellness Plus“, in der sich – erstmalig! – 141 Aussteller um Gesundheit kümmern, in der zwei von Wasser benetzte Plastikbahnen – ein rauschender Wasserfall! – für Atmosphäre sorgen, in der es Infrarot-Massageliegen, Salzkristalllampen und Trinkwasser-Energetisierer gibt?

„Was Wellness ist? Nun ja, Gymnastik, etwas Sport, das wär’s dann“, sagt ein Besucher.

Eines erst mal vorweg: „Mit Wellness“, sagt Birgitt Fischer und schaut streng durch ihre randlose Brille, „also, mit Wellness hat das hier nichts zu tun.“ Sie verkauft das „einzige geprüfte Medizinprodukt im Bereich oszillierende Massage“. Einfach gesagt, handelt es sich um eine gelbe vibrierende Matratze mit ein paar Wärmelampen. Für 1.829 Euro. Wobei Vibrieren das falsche Wort ist: Eine Taxifahrerin mit zweifach gebrochenem Arm habe die Liege ausprobiert und kein Wackeln bemerkt – wenn doch, wäre sie ihr schließlich vor Schmerz ins Gesicht gesprungen, sagt Birgitt Fischer.

„Das müsste was fürs Bad sein. Badewasser mit Strudeln drin. Richtig?“

Christa Mittelstädt bleibt fast eine halbe Stunde darauf liegen. Die Bochumerin fühlt sich danach locker, warm, „richtig gut“. Das ist für sie – nach zwei Operationen an der Bandscheibe – nicht selbstverständlich. Gekauft hat sie dann doch nicht, auch weil sie noch zu wenig weiß über die Wunderliege. Was nicht verwundert, denn auch Frau Fischers Erklärungen bleiben vage: Von sieben Oszillatoren erzählt sie, Wassermoleküle im Körper brächten die ins Schwingen. „Manche haben während der Massage den Eindruck, dass die Hallendecke zittert – in den Augäpfeln ist schließlich auch Flüssigkeit.“ Bei Christa Mittelstädt war das übrigens nicht so.

„Na, Erholung. Wenn man das hier alles so sieht, entspannt man doch von alleine.“

Klaus Reiche will weg, das ist offensichtlich. Schuhe und Mantel hat er längst wieder an, etwas genervt schaut er seit zehn Minuten auf das Wirbelsäulenmodell. Kaufen will er die Infrarot-Massageliege – ein Konkurrenzprodukt – sowieso nicht. Aber drauf gelegen hat er, das zwingt zum Zuhören. Es geht um „Wärme als Quellen allen Wachstums“, Infrarot-Strahlen und 2.900 Euro, die die mechanische Matratze kostet. Klaus Reiche ist ein diplomatischer Mensch. Die ganze Familie leide unter Kreuzschmerzen, erzählt er später. Und dieses Ding, na ja, sicher gelte schon der Spruch ‚Viel hilft viel‘ manchmal. Aber: „Das hat richtig weh getan.“ Warm war es, aber die Mechanik hat ordentlich zugelangt, und was die Magneten unter dem Stoff noch bewirken sollen, hat er nicht verstanden. Fragt man Firmenvertreterin Kwon Hork Soon danach, erwähnt sie Plus- und Minus-Ionen und dass die in der Magnettherapie ja gang und gäbe seien.

„Wohlfühlen. Aber hier ist ja nur Stress. Die Wellness hole ich nach – zu Hause.“

Brigitte Siegel, eine resolute Frau mit kurzem rotem Haar, kann auf der Grünen Woche kaum noch etwas überraschen: Seit zehn Jahren ist sie immer dabei, ihr Mann seit fünfundzwanzig. Sie hat in der neuen Wellness-Halle etwas anderes erwartet: „Sitzecken zum Entspannen zum Beispiel. Alles, was hier rumsteht, gab es vorher in den anderen Hallen auch.“ Brigitte Siegel leidet unter Verspannungen, deshalb ist sie vor dem Stand einer südkoreanischen Firma stehen geblieben. Ein Akupressurgerät ist zu erwerben. Es sieht aus wie ein Nothammer, wie er in Bussen hängt, nur dass die Spitze vibriert und Firmenvertreter Neung-Hyun Baek ihm ab und an per Knopfdruck ein scharfes Klacken entlockt. Das klingt, als tackere er Nadeln in Brigitte Siegels Nacken. Doch es sind nur schwache Stromschläge, und, Siegel ist sich sicher, „die linke Schulter ist jetzt lockerer“. Deshalb hat sie den Nothammer für 49 Euro gekauft. Wie das Gerät genau funktioniert, hat ihr niemand ordentlich erklärt –„auf jeden Fall mit Batterien“. Das eint sie mit den anderen BesucherInnen. Und wie seine Kollegen hilft Verkäufer Baek nicht weiter, wenn er atemlos von „Elektroimpulsen“ und „elektromagnetischen Impulsen“ erzählt. Aber darum geht es in der Wellness-Halle der Grünen Woche ja nicht.

„Dass man gut auf seine Füße aufpasst, mit solchen Einlagesohlen zum Beispiel. Aber wissen Sie, wo der Ausgang ist? Wir wollen hier nur noch raus.“

ULRICH SCHULTE