: Welcher Couleur wir sind
FLAGGENPARADE Die Ausstellung „Flagge zeigen? Die Deutschen und ihre Nationalsymbole“ in Leipzig beleuchtet die wechselvolle Geschichte von Schwarz-Rot-Gold
VON CHRISTIAN SEMLER
Dem Doppeljubiläum – 60 Jahre Grundgesetz, 20 Jahre demokratische Revolution – zum Trotz erstrahlte Leipzig am vergangenen Sonnabend nicht in Schwarz-Rot-Gold. Stattdessen beherrschte das düster-schaurige Schwarz allein das Straßenbild. Für dieses Jahr war Leipzig zum internationalen Treffpunkt der Gothic Waver ausersehen worden. Die vielfach variierten, fantasievoll bestickten schwarzen Klamotten und Kostüme erwiesen auch bei dieser individualistisch gesinnten Versammlung die fortdauernde kollektive Prägekraft von Farbsymbolen. „Unser Schwarz drückt“, so eine junge Dame im zeremoniellen Schwarz des spanischen Königshofs, „unser Lebensgefühl aus.“
Zufall oder raffinierte Fügung – die Hofdame hatte sich den zweiten Stock des Leipziger Zeitgeschichtlichen Forums zum Repräsentationsort erwählt. Also jenes Museum, wo wenige Tage zuvor die Ausstellung „Flagge zeigen“ eröffnet worden war, die sich mit der wechselvollen Geschichte deutscher Staatssymbole beschäftigt. Die ursprünglich vom Bonner Haus der Geschichte konzipierte und gezeigte Schau beschäftigt sich generell mit Formen staatlicher symbolischer Repräsentation in Deutschland, legt aber besonderes Gewicht auf die Geschichte der schwarz-rot-goldenen Flagge bis hin zu ihrer massenhaften popkulturellen Akzeptanz anlässlich der Fußballweltmeisterschaften 2006.
Wer befürchtet hatte, hier nur Flachware, also ausgestelltes Papier vorzufinden, wird angenehm enttäuscht. Den Ausstellungsmachern ist es gelungen, eine Reihe von sinnfälligen plastischen Exponaten aufzutreiben, darunter auch vielerlei Nippes, dazu einige bedeutende Gemälde, so ein Werk Walter Mattheuers, des Meisters der Leipziger Schule, und ein Bild aus dem Zyklus „Café Deutschland“ von Jörg Immendorf. Viel zum Materialreichtum hat beigetragen, dass der Geschichte von Staats-und Parteisymbolen in der DDR breiter Raum gewidmet wurde, so dass man sich fast beim DDR-Thema an die damaligen Traditionskabinette erinnert fühlte.
Die Ausstellung ist historisch aufgebaut. Sie erinnert daran, wie in der 48er Revolution Schwarz-Rot-Gold zur Freiheitsfahne wurde, zeigt, wie in der Weimarer Republik Schwarz-Rot-Gold durch Schwarz-Weiß-Rot, die Fahne der Demokratiefeinde, besiegt wurde, bis Hitler schließlich mit der Hakenkreuzfahne Schwarz-Weiß-Rot erneut, wie schon im Kaiserreich, zur Staatsflagge erhob. Die Ausstellungsmacher haben sich entschieden, der monumentalen faschistischen Staatssymbolik nur wenig Raum zu gönnen.
Der zentrale Trakt der Ausstellung stellt die Geschichte nationaler Symbole in den beiden deutschen Staaten gegenüber, Nach der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni ist die plakative Verherrlichung des SED-Regimes in der Staatssymbolik allgegenwärtig. Abweichende Meinungen, wie noch beim Abriss des Berliner Schlosses, die in der Ausstellung dokumentiert werden, sind dann nicht mehr zu sehen. Die Ausstellung zeigt auch, wie durch die Verleihung von Orden, Plaketten, Urkunden etc. die Parteiführung im Alltagsleben Bindungen an den Realsozialismus herstellen wollte.
Anders die Haltung in der Bundesrepublik zu den nationalen Symbolen. Die Ausstellung erzählt, wie mühsam sich Schwarz-Rot-Gold durchsetzen musste. Ein eigenes, sehr instruktives Kapitel ist der Auseinandersetzung um die Nationalhymne gewidmet. Der Bundespräsident Heuss favorisierte einen Text von Rudolf Alexander Schröder mit der Musik von Hermann Reuther, konnte aber gegen Adenauer und die dritte Strophe unseres heutigen Deutschlandliedes nichts ausrichten. Instruktiv auch, wie die Nationalfarben in den 60er-Jahren in den Dienst des Kampfs gegen die Notstandsgesetze von der Linken eingesetzt werden und wie der Bundesadler, die „dicke Henne“, als von den reaktionären Kräften malträtiert dargestellt wird.
Man kann nicht sagen, die Ausstellungsmacher hätten unkritisch die deutschen Staatssymbole gefeiert und nur eine Erfolgsgeschichte erzählt. Allerdings werden eine Reihe äußerst scharfer, bis heute andauernder Kontroversen ausgeblendet. Das betrifft den ganzen Sektor des Militärischen, vom Streit über die Benennung von Kasernen über den „Großen Zapfenstreich“ bis zum gegenwärtigen Projekt eines Ehrendenkmals für die „Gefallenen“ auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums in Berlin. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass die Wehrmachtsausstellung in ihren symbolkritischen Aspekten keine Erwähnung findet.
■ Bis 4. Oktober, Zeitgeschichtliches Forum, Leipzig, Katalog (Kerber Verlag) 19,90 €