Bewegung in den Köpfen der Menschen

Die meisten Anwohner der Gegend um den Rathenauplatz sind beeindruckt von Ulrike Oeters „Gedächtnis auf Rädern“. Manch Älterer mag jedoch nicht so gerne an die Deportation der Juden aus dem Stadtviertel erinnert werden

Köln taz ■ Bewusst in den Weg gestellt hat sie ihren Wagen. Ulrike Oeter macht es Passanten nicht leicht, achtlos an ihrem „Gedächtnis auf Rädern“ vorbei zu gehen. Und so riskieren an diesem Vormittag einige Kölner in der Lochnerstraße einen kurzen Blick auf die Filzkärtchen mit Namen und die zerbrechlich anmutenden Erinnerungsstücke, die die Künstlerin an ihrem mobilen Museum angebracht hat. Einmal stehen geblieben, möchte man alles anfassen, Schubladen aufziehen, in den Kärtchen blättern. Der Stoff der Kinderlätzchen, die aus Teebeuteln gefertigten Schuhe laden zum Berühren ein, sind es doch Gegenstände, die jedem vertraut sind.

Seit Samstag zieht Ulrike Oeter ihre Installation durch die Gegend um den Rathenauplatz. Die 56-jährige Künstlerin will die Menschen an die Deportation der Juden aus dem Viertel erinnern, das „Banale, Alltägliche, das vor der eigenen Haustür geschah“, ins Gedächtnis rufen. (siehe taznrwköln vom 22.1.)

Ohne sich aufzudrängen, lädt sie ein in ihr „kostenloses Straßenmuseum“. Am liebsten ist es ihr, wenn sich dabei ein Dialog zwischen den Passanten entwickelt. Ganz bewusst beschränkt sie sich auf das Viertel um den Rathenauplatz, möchte, dass der „Einzelne fassbar bleibt“. Durch Gegenstände, auf die sie Namen und Bilder von Deportierten gebügelt hat, will sie Geschichte „greifbar“ und damit begreifbar machen. „Denn“, so Oeter, „wir lesen und wissen viel, aber wir begreifen es nicht.“

Dass sie dabei nicht nur positive Reaktionen erntet, war vorauszusehen. Vor allem viele ältere Kölner wollen sich nicht gerne mit der Vergangenheit konfrontieren. „Ich will das nicht mehr hören“ und „lieber in die Zukunft als ständig in die Vergangenheit schauen“ sind gängige Kommentare. Die meisten jedoch, die stehen bleiben, sind interessiert, fragen nach Deportierten aus ihrer Straße, berichten von eigenen Erfahrungen.

Im Gästebuch, das auf dem Wagen ausliegt, finden sich neben deutschen auch spanische, russische und hebräische Einträge. Viele bringen vor allem ihr Gefühl zum Ausdruck. Sie zeigen sich „gerührt und berührt von der poetisch-künstlerischen Erinnerungs-Aktion“, finden sie „erschreckend beeindruckend“. Bei den wenigen Anfeindungen müsse sie sich nicht selbst verteidigen, sagt Oeter. „Die Leute ergreifen für mich Partei.“

Die Frage einer jungen Frau: „Und als die Leute weggebracht wurden, wem gehörten dann die Wohnungen?“ bestärkt Ulrike Oeter in dem Glauben, dass sie mit ihrem „Gedächtnis auf Rädern“ etwas in den Köpfen und Seelen der Menschen bewegt. Anne Wellmann

Das „Gedächtnis auf Rädern“ ist bis zum 30. 1. unterwegs. Für die Tagesroute siehe taznrwköln vom 22.1.