piwik no script img

Archiv-Artikel

„Bissle ‘n Wegschaudialekt“

Der Spielfilm „Der Wald vor lauter Bäumen“ schaut einer jungen Lehrerin beim Scheitern zu. Ein Gespräch mit der Regisseurin Maren Ade und der Hauptdarstellerin Eva Löbau über Schwaben und Badener, über Peinlichkeit und eine irreale Schlussvolte

INTERVIEW CLAUDIA LENSSEN

taz: Frau Löbau, im Film wollen Sie als Junglehrerin Melanie alles gut machen. Würden Sie sich als Schülerin von solch einer Lehrerin unterrichten lassen?

Eva Löbau: Schwierig. Eine weiche Person reizt einfach. Sie ist zu gutgläubig, gibt keine klaren Anweisungen, fängt ihre Sätze mit „vielleicht“ an, selbst bei Androhung von Strafen. Sie lässt sich immer überreden.

Ist Weichsein schlecht?

Maren Ade: Grundsätzlich nicht. Nur kann man im Lehrerberuf nicht der sein, der man ist. Man muss Authentizität zeigen, damit die Kinder einen nicht als bloße Figur begreifen, aber man muss bestimmte persönliche Eigenschaften wegsperren. Melanie ist so durchlässig, sie kann nicht pokern. Sie beherrscht die Spielchen noch nicht.

Sie müsste eine Selbstdarstellungsrolle spielen?

Maren Ade: Ich bin keine Lehrerin, aber als ich mit den Schülern gearbeitet habe, kam ich schnell in eine ähnliche Situation. Wenn man vor 35 Kindern steht und dann Angstmomente hochkommen, habe ich mich ganz gut an meiner Regisseursrolle festhalten können. Aber der Begriff „Rolle“ trifft es nicht. Kinder merken sofort, wenn man nicht echt ist. Sie nehmen es Melanie nicht ab, wenn sie versucht, streng zu sein. Lehrer müssen halt bestimmte emotionale Voraussetzungen mitbringen.

Eva Löbau: Man muss einen Verhaltenskodex für alle aufstellen, andererseits individuell auf die Kinder eingehen. Den Spagat schafft sie nicht.

Maren Ade: Lehrer sind ja keine Erzieher. Sie sollen den eigentlichen Unterricht machen und dafür die Grundvoraussetzungen schaffen, aber es vergeht viel Zeit, bis sie dahin kommen.

Ein Schüler, der sich über eine schlechte Note ärgert, wirft Melanie ein Kakaopäckchen in den Rücken, seine Mutter findet das in Ordnung. Frau Löbau, hätten Sie das Drehbuch manchmal gern geändert?

Eva Löbau: Mich hat genau das interessiert. Die Schüler haben sogar geprahlt: „Das ist ja noch gar nichts.“

Melanie gibt ihre Schwierigkeiten nicht zu.

Maren Ade: Wo sollte sie die zugeben? Letztlich geht sie immer allein ins Klassenzimmer, die Tür geht hinter ihr zu.

Lehrer sind seit den Paukerfilmen selten im deutschen Film, und wenn sie vorkommen, sind sie ahnungslos oder unrettbar politisch korrekt. Ihr Film nimmt die Lehrerin als tragikomische Figur ernst. Melanie Pröschle ist komisch, und zugleich ist ihre Geschichte ein einziger Absturz.

Maren Ade: Mein erstes Drehbuch war viel leichter, komödiantischer, da gab es nur Schule. Ich hatte ein anderes über eine ungleiche Freundschaft in Arbeit, noch ohne Milieu und Schauplatz. Da will eine Frau mehr mit einer anderen befreundet sein und beginnt, Grenzen zu überschreiten. Irgendwann sind beide Geschichten gut ineinander geflossen, beide haben Traurigkeit und Humor, obwohl es jetzt wahrscheinlich keine Komödie mehr ist.

Warum der irreale Schluss?

Maren Ade: Ein Schlusspunkt war nicht einfach zu finden. Ich fand spannend, dass noch mal etwas Großes passiert und man den Zuschauer nach viel Realismus mit einem Bild entlässt, das klar macht: Es ist ein Film, den man gerade gesehen hat. Das Bild selbst ist für mich ein Loslassen, Zurücklehnen.

Eva Löbau: Für mich ist es ein Filmwunder, keine Selbstmordszene.

Süddeutsche Dialekte haben den Stempel des Gemütlichen. Bei Ihnen spielen sie eine große Rolle.

Eva Löbau: Ich hätte am Liebsten noch dicker aufgetragen. Die Sache mit der Gemütlichkeit ist die Crux, aber hier geht es um eine Frau, die aus Schwaben kommt und nach Baden zieht. Ich spreche schwäbisch, die Kinder badisch. Im Regionalen ist das wichtig, weil Badener und Schwaben sich sowieso nicht mögen, das ist der kleine Taschenwitz.

Regionale Mentalität, die sich in Sprache ausdrückt, fehlt in den deutschen Autorenfilmen. Mussten Sie den Dialekt in der Produktion durchsetzen?

Maren Ade: Man könnte einen Film drüber machen, dass das Kultusministerium in Stuttgart beim Hauptgang immer einen schwäbischen Wein ausschenkt, nur beim Nachtisch einen badischen. Ich höre Schwäbisch gern, obwohl ich Badenerin bin. Die Geschichte hat gefordert, dass jemand von ein bisschen weiter her kommt, genug, um fremd zu sein. Ich finde es eine Bereicherung für die Figur. Das Schwäbische hat halt was Verniedlichendes, Beschönigendes: bissle 'n Wegschaudialekt, was Bemühtes. Viele Lacher haben damit zu tun.

Aber mit der Gutmütigkeit entsteht auch ein ziemlich abgründiges Missgeschick. Sind die kleinen Distanzlosigkeiten der Grund, warum es Melanie nicht gelingt, als Single neu anzuknüpfen? Ist sie peinlich?

Maren Ade: Ich habe beim Schreiben nicht darüber nachgedacht, dafür habe ich sie zu sehr gemocht. Mir ging es um die emotionale Sicht, die innere Logik der Figur. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, warum man jemanden peinlich findet. Das hat doch sehr viel mit einem selbst zu tun. Ich weiß gar nicht, ob Melanie sich selbst peinlich ist.

Die Geschichte läuft eng auf die Beziehung Melanies zu Tina hinaus. Sie ist besessen davon, dass sie diese Nachbarin zur Freundin haben will. Hängt ihre Geschichte von dieser Fixierung ab?

Eva Löbau: So wird es sein. Ich finde den Film aber nicht ausweglos. Sie lügt ja nicht alle an, sie lügt vor allem einen Kollegen an, weil sie den nicht in ihr Leben reinlassen will, weil sie nicht so sein will wie er. Die sind sich ja ähnlich. Er stellt ihr aber am Schluss eine ernsthafte Frage und bekommt eine Antwort. Da weitet sich ihr Blick. Wenn der Film weitergehen sollte – „Melanie Pröschle 2“ –, dann ist sie eine andere. Im Drehbuch sind ja alte Freunde, mit denen sie telefoniert, und sie hat Eltern, die ihr beim Umzug helfen. Sie möchte halt in Karlsruhe ankommen, das hat sie sich als Aufgabe vorgenommen.

Sehen Sie Ihren Film in einer Beziehung zu anderen deutschen Filmen?

Maren Ade: Valeska Grisebachs Film „Mein Stern“ hat eine ähnliche Vorstellung von Realismus.