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Archiv-Artikel

Das Gedenkjahr der NPD

2005 erinnert sich Deutschland an das Ende des Nationalsozialismus. Der Schrecken über Auschwitz mischt sich mit der Empörung über die Neonazis. Das bringt Aufregung, aber keine Aufklärung

VON ROBIN ALEXANDER

Zwölf schlechte Menschen gehen aus einem Raum und Deutschland kommt nicht darüber hinweg. Die Abgeordneten der NPD verließen den sächsischen Landtag, als an die Opfer von Krieg und Faschismus erinnert wurde. Das ist schon beinahe eine Woche her. Aber die Debatte, wie man mit dem Vorfall umgehen soll, kommt nicht zur Ruhe. Im Gegenteil: Sie wird immer breiter – und immer bizarrer. Die Bild-Zeitung begibt sich in einer Kolumne voll ehrlicher Abscheu auf das Niveau der Neonazis herab: „Am liebsten hätte ich euch mit dem Baseballschläger bei der nächsten Fraktionssitzung besucht.“ In der Zeit sieht der israelische Botschafter Schimon Stein gar die Demokratie gefährdet und fordert eine Bundestagsdebatte über den Dresdner Vorfall. Das ganze Spektrum dazwischen ist geschlossen betroffen: Als Nachricht wurde erstaunt vermeldet, dass Kanzler Gerhard Schröder in seiner Rede zum Auschwitz-Jahrestag nicht die sächsische NPD-Fraktion angesprochen hat.

Warum diese Aufregung? Geschah etwas Überraschendes? Gar Spektakuläres? Nein. Neonazis leugneten die Verbrechen des Faschismus schon immer, so weit das die Strafverfolgungsbehörden zulassen und manchmal darüber hinaus. Neonazis beleidigen die Opfer? Schon ihre bloße Anwesenheit in einem Parlament stellt eine Beleidigung dar – unabhängig davon, was sie konkret tun. Der Skandal von Dresden ist nicht der Auszug der Fraktion. Nicht einmal, dass diese Partei Landtagssitze errungen hat. Der Skandal ist die Verbreitung ihrer Geisteshaltung, der dies erst möglich macht. Dieser muss in den Dörfern und Kleinstädten der Sächsischen Schweiz, des Vogtlands und der Oberlausitz begegnet werden, wo die Menschen leben, die NPD gewählt haben. Mit einer Debatte im Bundestag käme man also genauso wenig weiter wie mit einem Baseballschläger in der Fraktionssitzung.

Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber es ist höchste Zeit, dass sie sich herumspricht. Schon jetzt träumt die NPD von einer Dauerpräsenz in den Medien. Und sie hat leider Grund zu dieser Hoffnung. Das Jahr 2005 bietet mit seinen zahlreichen Gedenktagen den Nazis eine Menge Anlässe, sich provozierend in Szene zu setzen. Vom sechzigsten Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz (heute) bis zum Kriegsende (8. Mai) gibt es ein gutes halbes Jahr lang beinahe wöchentlich Anlässe für die NPD, zu provozieren, zu beleidigen, zu verleumden. Für das nächste Datum, das Bombardement von Dresden am 17. Februar, ist schon der passende Begriff gefunden: der „Bomben-Holocaust“.

Das ist natürlich infam. Aber so funktioniert die Mache: Über die NPD wird auf der Folie des Dritten Reiches berichtet: „Der Schoß ist fruchtbar noch …“ Das treibt neben der Medienpräsenz auch den Gruselfaktor und das Selbstbewusstsein der traurigen Gestalten hoch. Zwei Dinge sollte man bei solcher Berichterstattung allerdings nicht übersehen:

Erstens: Die NPD schafft mit ihren Provokationen keinen Anschluss an irgendeinen relevanten Diskurs. Zwar hat sich die Erinnerung in den letzten Jahren zur Anerkennung und partiell auch zur Überbetonung deutscher Opfer verschoben. Aber wer über deutsche Flüchtlinge und deutsche Bombenopfer redet und schreibt, will deshalb noch lange keine Ostgebiete zurück oder leugnet die besondere deutsche Schuld. Dies gilt auch im politischen Spektrum: Zwar stimmen zwei Abgeordnete, die begründet in der CDU vermutet werden, bisweilen mit der NPD. Aber sie tun es heimlich, sonst wären ihre Karrieren beendet. Die deutschen Konservativen waren noch nie so deutlich auf Abgrenzung nach rechts bedacht wie heute. Die radikale Rechte ist isoliert. Jeder andere Eindruck wäre falsch – und gefährlich.

Zweitens: Natürlich ist Hitlers NSDAP das Vorbild der heutigen NPD. Mehr aber nicht: Eine reale historische Kontinuität zwischen den Organisationen, den Mitgliedern oder den Wählern gibt es so gut wie nicht. Der aktuelle Erfolg der NPD erklärt sich nicht aus der deutschen Geschichte, sondern aus der sozialen und mentalen Situation in bestimmten ostdeutschen Landschaften. Wenn es historische Ursachen gibt, liegen diese eher in der DDR und der Art der Wiedervereinigung als im Dritten Reich.

Die Neonazis mit den historischen Nazis in einem Atemzug zu nennen, nützt – außer der Auflage und der Einschaltquote – also vor allem diesen. Hitler, Goebbels, Himmler und Göring waren Witzfiguren und Horrorgestalten. Am Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz mag einem das Lachen über die Neurotiker, die für die NPD in Dresden geifern, vergehen. Dennoch: Es sind nur Witzfiguren.