: Karlsruhes kühle Rechner
Das Verfassungsgericht erklärt Rot-Grün seine Rechte: Bei Studiengebühren muss der Bund sich raushalten
AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH
Ab heute dürfen alle Bundesländer Studiengebühren für Hochschüler einführen. Auf Klage von sechs unionsregierten Ländern erklärte gestern das Bundesverfassungsgericht das bundesweite Verbot von Studiengebühren für „nichtig“. Lang hatte das Verbot nicht gehalten. Es war 2002 von Rot-Grün knapp vor den Bundestagswahlen im Hochschulrahmengesetz eingeführt worden. Sofort war aber umstritten, ob der Bund auf diese Weise den Ländern hochschulpolitische Vorschriften machen darf.
Sechs Länder klagten nun mit Erfolg in Karlsruhe: Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die ersten drei plus Niedersachsen wollen tatsächlich Gebühren einführen.
Wie das Bundesverfassungsgericht jetzt entschied, haben Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) und die rot-grüne Mehrheit im Bundestag ihre Kompetenzen überschritten. Ein bundesweites Gebührenverbot wäre nur möglich gewesen, wenn es zur „Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ oder zur „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit“ erforderlich gewesen wäre. Dies habe Bulmahn aber nicht belegen können.
Bulmahns stärkstes Argument waren die Wanderungsbewegungen, die drohen, wenn manche Länder Studiengebühren einführen und andere nicht. Doch die Richter zweifelten schon, ob es zu solchen Wanderungen überhaupt kommen werde, schließlich seien die derzeit diskutierten Gebühren von 500 Euro pro Semester nicht allzu hoch. Und mit Blick auf die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten – München ist viel teurer als Greifswald – seien solche Gebühren für die Wahl des Studienortes wohl auch nicht „maßgebend“.
Doch selbst wenn es zu Engpässen und damit Qualitätsverlusten an gebührenfreien Unis käme, sei dies noch kein Grund für ein Bundesgesetz. Es gehöre nun mal zum Föderalismus, so der Senatsvorsitzende Winfried Hassemer, dass unterschiedliche Rechtslagen auch Umzüge in andere Länder auslösen. Nachteile daraus müsse das betroffene Land selbst in den Griff bekommen. Gegen überfüllte Hochschulen empfehlen die Verfassungsrichter die Einführung von „Zulassungsbeschränkungen“, also eines Numerus clausus.
Damit das Urteil nicht ganz so kaltherzig wirkt, haben die Richter immer wieder Appelle an die Länder eingestreut. Diese werden an ihre „sozialstaatliche Verantwortung“ erinnert und zur „Wahrung gleicher Bildungschancen“ aufgefordert. Dabei sollen die Länder insbesondere „den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise angemessen Rechnung tragen“. Mehr als Verfassungspoesie ist das aber nicht. Das Urteil enthält jedenfalls keine konkreten Vorgaben für die jetzt mögliche Gebührenpolitik der Länder.
Ob die Entscheidung einstimmig fiel, ist nicht bekannt. Allerdings gab kein Richter ein Sondervotum ab. Letzten Sommer war das noch anders, als derselbe Senat die rot-grünen Regeln zur Juniorprofessur kippte und die Entscheidung mit fünf zu drei Richterstimmen fiel. Doch die damalige Minderheit scheint inzwischen resigniert zu haben.
Nebenbei wurde gestern auch eine zweite Regelung im Hochschulrahmengesetz gekippt. Die Länder müssen keine „Verfasste Studierendenschaft“ einrichten. Dies betrifft vor allem Bayern und Baden-Württemberg, wo die Studentenausschüsse (ASten) in den 70er-Jahren gezielt geschwächt wurden und weder Satzungs- noch Finanzautonomie haben. Auch hier sei eine bundeseinheitliche Regelung nicht erforderlich.