: Das letzte Aufgebot
OPELRETTUNG Die Wunderwaffe zu Guttenbergs soll neue Investoren anlocken, überzeugen, überreden oder notfalls erpressen
Die Stimmung im kleinen Sitzungssaal des Bundeswirtschaftsministeriums ist angespannt, die Luft lastet verbraucht und drückend über den Köpfen der Männer, der eisige Hauch des Scheiterns liegt wie Reif auf ihren grauen Gesichtern. In der Ecke steht ein Eimer zum Verrichten der Notdurft, die schal gewordenen Konferenzgetränke auf dem Tisch gehen allmählich zur Neige und das Konfekt ist schon vor Tagen vom Schriftführer in karge Rationen eingeteilt worden. Immer häufiger ist von Selbstmord die Rede, bisweilen gar von Pensionierung.
Draußen jedoch, in den heiligen Hallen des Wirtschaftsministerium, geht alles seinen gewohnten Gang: Minister zu Guttenberg fliegt Pirouetten in seinem brandneuen Supermannkostüm, während Vorgänger Glos noch immer seinen Schreibtisch ausräumt und verzweifelt ein neues Herrchen für seinen Ficus sucht.
Nur ein kleines Schild erinnert an jene tapferen Männer, die intern nur die „Inglorious Bastards“ oder das „Dreckige Dutzend“ genannt werden. Es trägt die Aufschrift „Füttern verboten!“ und hängt an einem Stacheldrahtverhau, der ihnen eine ungestörte Arbeitsatmosphäre sichern soll. Denn hinter den verschweißten Türen tagt seit vier Wochen die „Neigungsgruppe Opel“, ein Gremium aus strafversetzten Beamten, geschassten Managern der Automobilindustrie und Personen des öffentlichen Lebens, die das Kleingedruckte in den Verträgen mit ihren Medienberatern nicht gelesen haben. Auf dem Tisch in ihrer Mitte aber liegt das zwölfbändige persönliche Adressbuch des Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, daneben ein Handy.
Dieses letzte Aufgebot soll Opel retten, soll weitere Investoren anlocken, überzeugen, überreden oder erpressen, den maroden Konzern zu übernehmen. Sie sind die Wunderwaffe des versierten Strategen zu Guttenberg, das Ass im Ärmel des Wirtschaftsmagiers. Bloß die Kavallerie, das sind sie nicht, denn dieser Posten ist bereits von einem ähnlichen Kompetenzteam in Steinbrücks Finanzministerium besetzt.
„Und wenn wir noch einmal den Papst anrufen?“, schlägt Dr. Karsten Nieländer vor. Der blutjunge Wirtschaftswissenschaftler hat sich als einziger Freiwilliger zu diesem Himmelfahrtskommando gemeldet und glaubt bedingungslos an einen Sieg. Er schlägt in zu Guttenbergs Verzeichnis unter „Enge Freunde“ nach und lässt sich die Unterlagen über die Verhandlungen mit dem Vatikan geben. „Wir könnten eine Erweiterung der Produktpalette anbieten, neben dem Opel Omega auch den Opel Alpha. Und den Opel Kardinal.“
„Kinkerlitzchen“, widerspricht Uwe Steinfort, der in den wilden 70er-Jahren als Entwickler für Opel gearbeitet hat. Er ist noch von Joschka Fischer persönlich in Rüsselsheim ans Band agitiert worden, um die Vormacht der autoritären Patriarchen Opel „Kapitän“, „Diplomat“ und „Admiral“ zu brechen und ist verantwortlich für die Modelle wie „Opel Sozialkundelehrer“ und „Opel Rentner (mit Hut)“. Diese Fahrzeuge sind dann auch tatsächlich gebaut worden, wenn auch unter anderen Namen.
Draußen, vor den vergitterten Fenstern, schleicht ein alter Italiener im löchrigen Wollpulli herum, und wann immer er sich unbeobachtet wähnt, zieht er eng beschriebene Papiere aus seinem Rucksack und steckt sie durch die Gitter. „Wir haben strikte Order, den zu ignorieren“, beeilt sich Nieländer zu erklären, „Befehl von ganz oben.“
Sehnsüchtig winkt Steinfort dem Mann von Fiat zu und zeigt einige der heimlich eingeschmuggelten Kassiber. Von einem „Opel Cavaliere“ ist da die Rede, einem Traum in Chrom und Blattgold mit serienmäßigen Liegesitzen. „Mediterranes Understatement und deutsche Eleganz“, wispert er verzückt, „Fast wie damals beim Manta.“ Doch Dr. Nieländer unterbricht jäh die nostalgische Idylle und verdonnert den Autonarr zu einem weiteren Anruf bei den Chinesen. „Sie sind die einzigen, die versprochen haben, alle Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, wenn auch zu chinesischen Löhnen“, freut sich Nieländer, doch Steinfort winkt ab. „Wir sind hier doch bloß Kanonenfutter“, klagt er, „Die Entscheidung ist ohnehin schon längst gefallen: zu Guttenberg will den Laden einfach selbst übernehmen und alle zukünftigen Modelle nach sich selbst benennen. Vornamen hat er ja genug dafür.
CHRISTIAN BARTEL