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Archiv-Artikel

Schubser-Opfer meidet die Polizei

Ungereimtheiten im Fall eines 52-jährigen Mannes, der angezeigt hat, von einem Jugendlichen auf die Gleise gestoßen worden zu sein. Trotz großer Medienkampagne ist bislang kein einziger Zeuge der angeblichen Attacke aufgetaucht

Offiziell zitiert werden will mit dieser Vermutung noch niemand. Intern wachsen in Polizei- und BVG-Kreisen aber die Zweifel, ob sich der von einem 52-jährigen Mann angezeigte Fall eines U-Bahn-Schubsers am Kottbusser Tor wirklich ereignet hat. Zwei Dinge machen die Ermittler misstrauisch: Obwohl die Tat bereits am Montagabend passiert sein soll, ist es der Kripo bisher nicht gelungen, Kontakt mit dem Opfer zu bekommen, geschweige denn, es zu vernehmen. Dabei gibt der Mann der Presse Interviews noch und nöcher. Auch hat sich bislang noch kein einziger Zeuge gemeldet. Das ist merkwürdig vor dem Hintergrund, dass dem ins Gleisbett gestürzten Opfer zwei Frauen zu Hilfe geeilt sein sollen und der Bahnsteig zur Tatzeit gegen 21 Uhr stark frequentiert ist.

Unter der Überschrift: „Horror am Kottbusser Tor: Ich überlebte den U-Bahn-Schubser“ hatte der Berliner Kurier auf der Titel- und einer doppelten Innenseite über den Fall berichtet. Großformatige Fotos zeigen den Betroffenen am Tatort und in seiner Reinickendorfer Wohnung. Auch für die Fotografen anderer Zeitungen und das Fernsehen hat sich der gebürtige Türke Bozan T. Zeit genommen und ist mit diesen zum U-Bahnhof Kottbusser Tor zurückgekehrt.

Auf dem unteren Bahnsteig der Linie U 8 hatte er am Montagabend eigenen Angaben zufolge auf den Zug in Richtung Wittenau gewartet. Es sei ungefähr 21.10 Uhr gewesen, so Bozan T. gegenüber der Presse, als er von einem etwa 18-jährigen Mann von hinten gepackt und auf die Gleise geschleudert worden sei. Als er wieder auf den Bahnsteig klettern wollte, habe ihm der Täter mehrmals mit der Hand auf den Kopf geschlagen. Dann seien ihm zwei Frauen zu Hilfe gekommen, hätten den Angreifer abgedrängt und das Opfer aus dem Gleisbett gezogen. Sekunden später sei der Zug in den Bahnhof eingefahren.

Die Polizei hatte Bozan T. mit seinem Handy nach der Tat nicht direkt vom Bahnsteig, sondern von der Straße aus informiert. Beamten fahndeten im Bahnhof nach Zeugen, aber sowohl der Täter als auch die Frauen waren über alle Berge. Die kurze Darstellung, die der Betroffene der Polizeistreife am Montag vor Ort gab, ist das Einzige, was bisher zu den Akten gelangt ist. Alle späteren Versuche, ihn zu einer gründlichen Vernehmung zu laden, hat er seither ignoriert.

Die Polizei wird ihre Bemühungen fortsetzen, schließt aber auch nicht aus, dass die Straftat nur vorgetäuscht wurde. Es komme vor, dass sich Menschen in einer schwierigen persönlichen Lage auf diese und andere Weise Aufmerksamkeit und Beachtung verschaffen wollten, sagt der Gerichtspsychiater Werner Platz ganz allgemein.

Seit Dezember 2001 sind in Berlin vier Menschen vor die U-Bahn geschubst worden. Eine junge Frau starb, ein Mann büßte beide Beine ein, ein anderer ist seither querschnittsgelähmt, ein Opfer kam mit dem Schrecken davon. In zwei Fällen waren die Täter angetrunken, zwei waren psychisch krank. Nicht selten litten die Täter unter Wahnvorstellungen, sagt Platz. Sie hörten Stimmen, die ihnen die Tat befehlen würden. Eine Lehrerin, die vor zehn Jahren zwei fremde Kinder vor die U-Bahn geschubst hatte, habe gedacht, die Kleinen würden über sie lachen. Platz hatte die Frau psychiatrisch begutachtet. Die Opfer waren damals unversehrt davongekommen. PLUTONIA PLARRE