Kaufschalter im Gehirn

Die Werbeindustrie sucht Unterstützung in der Gehirnforschung. Hirn-Scans sollen erklären, wie Kaufentscheidungen zustande kommen und welche Produkteigenschaften die emotionalen Hirnregionen ansprechen. Doch die Wissenschaftler wiegeln ab

„Das ist eineviel zu mechanistischeSicht“

VON KATHRIN BURGER

Es ist nichts Neues, dass Werber Hilfe in der Wissenschaft suchen. Vor allem von der Psychologie erwartete man Antworten auf die Fragen: „Warum kauft ein Kunde dieses Produkt und nicht ein anderes?“ und „Wie kann man die emotionale Bindung an eine Marke verstärken?“

Werber setzen daher auf viel Buntes und Karibikszenerie – das Gefühl soll angesprochen werden. Doch der Verbraucher nimmt trotz reger Forschungstätigkeiten etwa 85 Prozent der „Kauf mich“-Botschaften nicht wahr. Ein teures Unterfangen, denn immerhin gibt die Werbewirtschaft weltweit derzeit etwa 500 Milliarden US-Dollar jährlich aus.

Um dieses Geld effizienter einzusetzen, wird seit einiger Zeit auch die Hirnforschung bemüht. Mithilfe eines Bildgebungsverfahrens, der „funktionellen Magnetresonanztomographie“ (fMRT) will man direkt in das Gehirn des Verbrauchers blicken und verspricht sich davon „gigantische Chancen für die wirtschaftliche Nutzung“, so die Werbefachzeitschrift Horizont.

In der Autobranche gab es dazu bereits Studien. Professor Henrik Walter von der Universität Ulm spielte im Auftrag von DaimlerChrysler männlichen Probanden Bilder von Sportwagen und von Familienkutschen vor. Dabei maß er, welche Gehirnregionen die Bilder verarbeitete. Und siehe da: Diejenige Gehirnregion leuchtete beim Anblick der Rennschlitten am stärksten, die auch beim Sex, beim Schokolade-Schlemmen oder beim Koksen über das so genannte Belohnungssystem im Gehirn stimuliert wird.

Der texanische Wissenschaftler Samuel M. McLure untersuchte kürzlich, warum viele Menschen den Geschmack einer Limonade in Blindtests besser bewerten, später aber zum Konkurrenzprodukt greifen. Er fand in seinen Hirn-Scans heraus, dass Coke-Werbung eindeutig stärker das emotionale Gehirn stimulierte als Pepsi-Spots.

Ernst Pöppel von der Ludwig-Maximilians-Universität in München vermutet, dass über alle Branchen hinweg starke Marken immer dieselben Muster im Gehirn erzeugen. Werbungtreibende hoffen nun auf stichhaltige Beweise und überschütten ihn mit Anfragen. Denn sie versprechen sich, dass sie dann nur noch Marken erzeugen müssten, bei deren Betrachtung „Starkmarken“-Areale während der fMRT aufleuchten.

Da winkt der Wissenschaftler jedoch ab: „Das ist eine viel zu mechanistische Sicht.“ Auch andere Forscher sind wenig euphorisch. Denn was das Neuromarketing mit früheren Scannerstudien gemein hat, ist die Unsicherheit über die Ergebnisse. Genauer, über das, was man eigentlich misst. Denn der bei der fMRT erfasste „BOLD-Kontrast“, misst nicht die Aktivität der Nervenzellen. Er korreliert lediglich mit dem Sauerstoffgehalt in verschiedenen Gehirnregionen.

Der Neurowissenschaftler John Cacioppo von der Universität Chicago sieht auch einen Fehler in der Annahme, dass sich kognitive Phänomene eindeutig neuronalen Substanzen zuordnen lassen. Und: Man könne nicht von einem Bedürfnis, geschweige denn von einer Kaufentscheidung ausgehen, nur weil die Belohnungssysteme aufleuchten. Nikos Logothetis vom Max-Planck-Institut für Kybernetik meint: „Was man sicher weiß, ist eigentlich trivial. Alles andere steht am Anfang.“

Andere Bedenken kommen von ethisch-moralischer Seite. Wenn man weiß, was im Gehirn bei einer Marke und der konkreten Kaufentscheidung passiert, kann man das eines Tages manipulieren, lautet die Befürchtung. Die amerikanische Vereinigung Commercial Alert bat darum im Juli 2004 in einem offenen Brief den US-Senat jegliche Forschung auf dem Gebiet zu untersagen.

Weiter klagen Experten, dass zahlreiche Neuromarketing-Studien durchgeführt würden, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfahre; und so ist die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen zum Neuromarketing tatsächlich spärlich. Konkrete Anwendung findet das Verfahren derzeit nirgends. Der Autohersteller Ford finanziert zwar weiter Studien, und Daimler hat sogar ein Patent nach der Ulmer Studie angemeldet. „Weitere Studien sind aber nicht vorgesehen“, so Eva Guratzsch von Daimler. „Bislang kann man aus den Ergebnissen kein konkretes Studiendesign entwickeln“, gibt sie zu.

Daran arbeitet dafür fieberhaft die Consulting-Firma BBDO gemeinsam mit dem Münchner Hirnforscher Pöppel. Das Projekt „Brain Branding Ansatz“ soll Geld sammeln und Forschungsergebnisse bündeln. Den Traum, eines Tages etwa einen Hirnscanner mit einem Designcomputer zu koppeln und so das maßgeschneiderte Auto zu entwerfen, will man in der Werbebranche noch nicht so schnell aufgeben.